Allgemeine Arteninformationen
Taxonomie
In Mitteleuropa kommt ausschließlich die Nominatform N. s. sylvestris vor. Die nordafrikanischen Populationen werden der Unterart Nemobius sylvestris tingitanus zugerechnet.
Kennzeichen
Die Waldgrille zählt mit 7-10 mm Köperlänge zu den kleineren Arten der Echten Grillen (Gryllidae). Sie ist überwiegend dunkelbraun gefärbt. Charakteristisch ist ein durch vier helle Linien gebildetes, nach vorn offenes „Fünfeck“ im Bereich der Stirn. Die Vorderflügel sind verkürzt und erreichen beim Männchen etwa die halbe Länge des Abdomens, beim Weibchen bedecken sie meist nur 2 Hinterleibssegmente. Verwechslungen sind am ehesten mit Larven der Feldgrille (Gryllus campestris) möglich. Der leise, schnurrend klingende Gesang erinnert in seiner Rhythmik an Morsezeichen (Bellmann 2006).
Biologie und Ökologie
Nemobius sylvestris ist ein Bewohner der Falllaubschicht wärmebegünstigter Waldstandorte mit mittlerer Feuchtigkeit. Die Art besiedelt vor allem besonnte Waldränder, lichte Laubwälder, teilweise auch gebüschreiche Waldlichtungen und stark verbuschte Halbtrockenrasen. Nahe den Arealgrenzen stellt die Art offensichtlich höhere Ansprüche an die Qualität der Lebensräume. Gabbutt (1959) beschreibt für England, dass die Art u.a. an eine bestimmte Kombination von Klima, Falllaubbeschaffenheit, Bodenbeschaffenheit gebunden ist, was auch für Sachsen und Brandenburg bei Betrachtung dortiger Lebensräume offenkundig zutrifft. In Südwestdeutschland ist die Art die häufigste Grillenart.
Die bodenbewohnenden Tiere können an den Fundorten häufig in hoher Dichte im Falllaub angetroffen werden und scheinen nicht territorial zu sein und keine festen Ruhestätten zu nutzen. Über das Fortpflanzungsverhalten ist nur wenig bekannt. Der Entwicklungs- und Lebenszyklus ist offensichtlich sehr plastisch, die Entwicklungszeit ist (ein- bis) zweijährig. Die Überwinterungen erfolgen im ersten Jahr als Ei, im zweiten Jahr als Larve. Imagines sind von Juni bis in den Spätherbst anzutreffen, können aber ausnahmsweise auch überwintern.
Die Art ist überwiegend herbivor, wobei abgestorbenes und teilweise in Abbau befindliches Laub den Großteil der Nahrung ausmacht. Daneben wurden frische Triebe, Pilze, Früchte, kleine Insekten und Kadaver als Nahrung nachgewiesen.
Da die Waldgrille nicht flugfähig ist und größere Wanderungen bisher nicht nachgewiesen werden konnten, ist für einen Populationsaustausch oder die Neubesiedlung von Flächen ein direkter Verbund geeigneter Habitate erforderlich.
Überregionale Verbreitung
Von Marokko über die Iberische Halbinsel bis Mitteleuropa. Die nördliche Verbreitungsgrenze verläuft durch Deutschland, im Osten weist die Art Vorpostenstandorte in Westpolen auf.
Erhaltungszustand
günstig (Gutachterliche Bewertung)
Hinweise Erhaltungszustand
Die gutachterliche Bewertung erfolgte auf Grundlage des langfristig und kurzfristig gleichbleibenden Bestandstrends in Sachsen. Offensichtlich bestehen in Sachsen klimatische Restriktionen für die Art.
Prüfung und Erfassung
Verantwortlichkeit
In hohem Maße verantwortlich
Verantwortlichkeit (Sachsen)
in hohem Maße verantwortlich
Einstufung nach F+E-Projekt Artenschutzkonzeption 2012
Allgemeine Maßnahmen in Lebensräumen, Priorität 3 (mittlere)
Untersuchungsstandards
Für die Erfassung von Waldgrillen bestehen keine Methodenstandards. Die Erfassung singender Tiere erfolgt am günstigsten an warmen Tagen im Zeitraum Juli bis September bei Temperaturen oberhalb von 17 °C und ist ganztägig möglich). In trockenheißen Perioden können die Tiere unter Trockenheitsstress geraten und sind dann nur sehr schwer nachweisbar. Der leise Gesang setzt eine gezielte Begehung geeigneter Lebensräume, ggf. unter Nutzung eines Ultraschalldetektors, voraus. Als ausschließlich bodenbewohnende Art ist die Waldgrille ferner mit Bodenfallen nachweisbar.
Vorkommen
Status Etablierung
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Nachweisabsicherung
Nein
Langfristiger Bestandstrend
gleichbleibend
Kurzfristiger Bestandstrend
gleichbleibend
Bestand
Die Waldgrille ist in Sachsen eine seltene Art der planaren und collinen Höhenstufe. Ihre Verbreitung unterliegt offensichtlich klimatischen Restriktionen. Demzufolge erstreckt sich das Hauptverbreitungsgebiet entlang der Elbe und ihrer Seitentäler. Weitere Verbreitungsschwerpunkte bestehen im Norden des Westlausitzer Hügel- und Berglandes sowie im Bereich Muskauer Heide / Niederlausitzer Grenzwall. Aus dem westlichen Sachsen liegen bislang nur einzelne Nachweise vor, besonders im Nordsächsischen Platten- und Hügelland sowie im Bereich der Mittleren Mulde erscheinen weitere Vorkommen möglich.
Regionales Vorkommen
- Oberes Elbtal/Osterzgeb.: Nachweis ab 1980
- Oberlausitz/Niederschles.: Nachweis ab 1980
- Westsachsen: Nachweis vor 1945
Vorkommenskarte
Naturraumkarte
Phänologie
Phänogramm
Erläuterung Phänologie
Die Art überwintert als Ei (1. Winter) sowie als Larve (2. Winter), ausnahmsweise auch als Imago (3. Winter). Damit kommt es zum gleichzeitigen Auftreten unterschiedlicher Generationen und Entwicklungsstadien. Überwinternde Imagines können im zeitigen Frühjahr weitere Eier legen, die jedoch nicht zur erfolgreichen Entwicklung kommen (Detzel 1998). Daher wird dieser Eiablagezeitraum nicht im Phänogramm berücksichtigt.
Lebensraum
Waldgrillen bewohnen in Sachsen wärmebegünstigte, häufig südexponierte Standorte, wie lichte Eichenwälder auf häufig felsigem Grund (Elbsandsteingebirge, Moritzburger Kleinkuppenlandschaft), Gehölzgruppen im Bereich von Trockenrasen im Lößhügelland sowie eichendominierte Baumbestände auf Sandstandorten mit bewegtem Relief (Muskauer Faltenbogen). Die Habitate sind wesentlich durch eine Kombination aus ausreichender Wärmebegünstigung und gleichzeitig ganzjährig hinreichender Feuchte innerhalb der Falllaubschicht geprägt. Der kluftreiche Untergrund vieler Fundorte bietet der Art vermutlich frostsichere Überwinterungsplätze sowie feuchtere Rückzugsgebiete in sommerlichen Trockenperioden.
Fortpflanzungs- und Ruhestätten: Entsprechen aufgrund der geringen Mobilität dem Jahreslebensraum.
Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: regionale Abstufung unterhalb der Ebene Landkreis Da die Tiere nicht flugfähig sind sollten jeweils direkt miteinander vernetzte Vorkommen als eine Population aufgefasst werden: z. B. Gehölzgruppe, besiedelter Hangbereich, Steinbruch etc.
Habitatkomplexe
- Gehölze, Baumbestand
- Wälder
Habitatkomplexe Reproduktion
- Gehölze, Baumbestand
- Wälder
Ökologische Charakterisierung
Höhenstufen
Management
Beurteilung
Aus den vorliegenden Verbreitungsdaten ergeben sich keine Hinweise auf grundsätzliche Veränderungen der Verbreitungs- und Bestandssituation seit Schiemenz (1966). Allerdings sind die Kenntnisse zum Vorkommen der nur mit hohem Aufwand flächig kartierbaren Art in Sachsen noch sehr lückenhaft.
Management
Schutz durch allgemeinen Schutz der Lebensräume:
- Erhalt, Förderung und Vernetzung von lichten Laubwäldern auf wärmebetonten Standorten
- Berücksichtigung der Habitatansprüche der Art bei der Rekultivierung von besiedelten Abbaugebieten (z. B. Steinbrüchen)
- Förderung von Vernetzungskorridoren in Form von Laubwaldstreifen, vor allem im Bereich besiedelter Talhänge
- Umwandlung nadelholzdominierter Waldränder und Wälder wärmebegünstigter Lagen in Eichenbestände
Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida
Gefährdungen
Mögliche Gefährdungsursachen sind:
- Entnahme von Laubwaldsäumen an den Rändern von Nadelholzforsten
- Eutrophierung und Vegetationsverdichtung von Wäldern durch Nährstoffeinträge
- Insektizideinsatz in Wäldern
- Zerschneidung, Isolation der Vorkommen durch Wege- und Straßenbau oder flächigen Gehölzeinschlag
- Gehölzrodungen in Weinbergen und im Bereich von trockenwarmen Hängen
Sonstiges
Literatur
Bellmann, H. (2006): Der Kosmos Heuschreckenführer. - Franckh Kosmos Verlag Stuttgart
Brouwers, N. C. & Newton, A. C. (2009): Movement analyses of wood cricket (Nemobius sylvestris) (Orthoptera: Gryllidae). - Bulletin of entomological research 100(6): 623-634
Brouwers, N. C. & Newton, A. C. (2010): The influence of barriers and orientation on the dispersal ability of wood cricket (Nemobius sylvestris) (Orthoptera: Gryllidae). - Journal of Insect Conservation 14(3): 313-317
Brouwers, N. C., Newton, A. C. & Bailey, S. (2011): The dispersal ability of wood cricket (Nemobius sylvestris) (Orthoptera: Gryllidae) in a wooded landscape. - European Journal of Entomology 108(1): 117-125
Detzel, P. (1998): Die Heuschrecken Baden-Württembergs. –Verlag Eugen Ulmer Stuttgart. 580 S. Detzel, P. & Maas, S. (2004): Verantwortlichkeit Deutschlands für den Erhalt von Heuschreckenarten. In: Gruttke, H. (Bearb.): Ermittlung und Verantwortlichkeit für die Erhaltung mitteleuropäischer Arten: Referate und Ergebnisse des Symposiums. Landwirtschaftsverlag, Münster, Naturschutz und biologische Vielfalt 8, S. 161 – 172.
Gabbutt, P. D. (1959): The binomics of the wood cricket Nemobius sylvestris (Orthoptera: Gryllidae). - Journal of Animal Ecology 28: 15-42
Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998): Die Heuschrecken Mitteleuropas. Westarp Wissenschaften, Magdeburg, Neue Brehm-Bücherei 629, 460 S.
Klaus, D. & Matzke, D. (2010): Heuschrecken, Fangschrecken, Schaben und Ohrwürmer. Rote Liste und Artenliste Sachsens. - Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 36 S.
Köhler, G. (2001): Fauna der Heuschrecken (Ensifera et Caelifera) des Freistaates Thüringen.- Naturschutzreport 17, Jena.
Maas, S.; Detzel, P. & Staudt, A. (2002): Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands. Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, 401 S.
Pfeiffer, M. A. & Renker, C. (2011): Waldgrille – Nemobius sylvestris (Bosc, 1792) In: Pfeiffer, M. A.; Niehuis, M. & Renker, C. (Hrsg.): Die Fang- und Heuschrecken in Rheinland-Pfalz. GNOR Mainz: 313-319.
Schiemenz, H. (1966): Die Orthopterenfauna von Sachsen. – Faunistische Abhandlungen, Staatliches Museum für Tierkunde Dresden 1(7, 29), S. 337 – 366 + 5 Karten.
Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes
Stand: 11.10.2015; Bearbeiter: Dr. André Günther und Marko Olias (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Holger.Lueg@smul.sachsen.de
Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm