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Orthetrum coerulescens (Fabricius, 1798) / Kleiner Blaupfeil (Sachsen)

Synonyme


Orthetrum caerulescens

Rechtlicher Schutz und Rote Liste


Artenschutzrechtlicher Schutzstatus:BG (besonders geschützt)
Rote Liste Deutschland:V (zurückgehende Art lt.Vorwarnliste, zurückgehende Pflanzengesellschaften (keine Gefährdungskategorie!))
Rote Liste Sachsen:3 (gefährdet)

Allgemeine Arteninformationen


Taxonomie

In Mittel- und Nordeuropa kommt die Nominatform O. c. coerulescens vor. Im Süden und Südosten des Areals tritt die Unterart O. c. anceps (früher auch als O. ramburii bezeichnet) auf. Dieses Taxon unterscheidet sich sowohl in der Färbung, als auch in der Form des sekundären Kopulationsapparates und wird teilweise als eigene Art aufgefasst. Allerdings besteht ein breites Übergangsgebiet mit intermediären Tieren.

Kennzeichen

Mittelgroße Segellibelle mit klaren Flügeln. Zierlichste heimische Blaupfeil-Art (Gattung Orthetrum) mit auffällig großen, gelblichen Flügelmalen. Ausgefärbte Männchen in Mitteleuropa mit vollständig blau bereiftem Abdomen, meist nur wenig bereiftem Thorax mit hellen Antehumeralstreifen und braunem Gesicht. Weibchen und junge Männchen bräunlich. Verwechslungsmöglichkeiten: Der Südliche Blaupfeil (Orthetrum brunneum) ist kräftiger gebaut und ausgefärbte Männchen sind auch an Thorax und Beinen intensiv blau bereift und haben ein blaues Gesicht. Eine sichere Unterscheidung ist anhand der Form des sekundären Kopulationsapparates und meist über die Flügeläderung möglich. Die Weibchen und Jungtiere beider Arten sind schwierig zu unterscheiden und können auch mit Heidelibellen (Gattung Sympetrum) verwechselt werden. Die Bestimmung von Larven und Exuvien ist im Gelände nicht sicher möglich.

Biologie und Ökologie

Orthetrum coerulescens ist eine Charakterart besonnter kleiner Bäche und Gräben im Offenland. Als ursprünglicher Besiedler von quelligen Grundwasseraustritten, durch Hangdruckwasser gespeisten Kleingewässern, Seitengerinnen in Flussauen und Kalkquellmooren findet die Art heute auch Sekundärlebensräume in ganzjährig wasserführenden, flachgründigen Rinnsalen und Wasseraustritten in Abgrabungsgebieten. Auch besonnte Abflussgräben von Teichen werden regelmäßig besiedelt. Die Fortpflanzungsgewässer sind thermisch begünstigt, können sich im Sommer stark erwärmen und sollten im Winter nicht durchfrieren. Im Norden des Areals tritt die Art bevorzugt in moorgeprägten Lebensräumen auf, möglicherweise aufgrund der färbungsbedingt höheren Wassertemperatur dystropher Gewässer (Sternberg & Buchwald 2000). Die Larven leben in schlammigen oder Detritus enthaltenden Substraten, teilweise auch in feinblättrigen Wasserpflanzen. Ihr Sauerstoffbedarf ist relativ hoch, wobei größere Larvenstadien atmosphärischen Sauerstoff nutzen können (Wildermuth & Martens 2014). Die Entwicklungszeit beträgt temperaturabhängig 1 bis 2 Jahre. Während der 2 bis 3 Wochen dauernden Reifeflugperiode können sich die Tiere sehr weit vom Gewässer entfernen, dennoch kehrt ein großer Teil der Imagines an den Schlupfort zurück.

Die geschlechtsreifen Männchen besetzen bei sonnigem Wetter kleine Territorien an den Reproduktionsgewässern und verteidigen diese intensiv gegen Eindringlinge. Das Maximum der Individuen ist dabei vom späten Vormittag bis zum frühen Nachmittag anwesend. Die Weibchen halten sich überwiegend abseits der Gewässer in kleinstrukturreichen Offenflächen, wie ungemähten Extensivwiesen, lichten Staudenfluren, Waldlichtungen etc. auf und kommen nur zur Paarung und Eiablage ans Gewässer. Die Eiablage erfolgt im Flug, wobei die Weibchen die Eier an der Wasseroberfläche abstreifen. Dabei werden sie, zumindest anfänglich, durch das über oder neben ihnen fliegende Männchen bewacht.

Das Ausbreitungsvermögen ist hoch, neu entstandene Lebensräume werden häufig bereits im ersten Jahr besiedelt.

Überregionale Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet von O. c. coerulescens umfasst West-, Mittel- und das südliche Nordeuropa. Der Überschneidungsbereich zu O. c. anceps umfasst vor allem Südosteuropa, während typische O. c. anceps in großen Teilen des Mittelmeerraumes, Nordafrikas und von Kleinasien bis Zentralasien und Nordindien anzutreffen sind.

Erhaltungszustand


Erhaltungszustand

günstig

Hinweise Erhaltungszustand

Seit der Erstellung der sächsischen Roten Liste im Jahr 2005 konnte eine weitere Bestandszunahme der Art beobachtet werden. Auch wenn sich noch nicht alle Vorkommen in einem guten Erhaltungszustand befinden und die Art lokal auch wieder Rückgänge aufweist (z.B. im Einzugsgebiet der Spree), würde sie bei einer Neubewertung sachsenweit vermutlich als ungefährdet eingestuft.

Prüfung und Erfassung


Einstufung nach F+E-Projekt Artenschutzkonzeption 2012

Allgemeine Maßnahmen in Lebensräumen, Priorität 3 (mittlere)

Untersuchungsstandards

Es liegen keine Untersuchungsstandards vor. Infolge der hohen Mobilität der Individuen sind Fortpflanzungsstätten verlässlich nur über Exuviensuche erfassbar. Das Auftreten einzelner Individuen an Gewässern gibt (noch) keinen Hinweis auf eine erfolgte Reproduktion im Gewässer. Die effektivste Methode ist die Exuviensuche im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte Juli. Da der Schlupf nur wenig synchronisiert ist und besonders in sehr warmen Gewässern zwei Schlupfmaxima möglich sind, da vermutlich ein- und zweijährige Entwicklungszeiten nebeneinander vorkommen, sind mindestens 3 Begehungen erforderlich. Der Schlupf erfolgt deutlich über dem Wasserspiegel in der Verlandungs- oder Ufervegetation. Häufig sind Exuvien auch an den Blattunterseiten großblättriger Sumpfpflanzen zu finden. Günstigste Zeit für die Erfassung von Imagines an den Gewässern sind die Mittagsstunden und der frühe Nachmittag an sonnigen Tagen im Zeitraum Mitte Juni bis August. Da die Imagines beschattete Bereiche meiden und die Larven sehr hohe Temperaturansprüche haben, sind, im Gegensatz zu vielen anderen Fließwasserlibellen, Exuvien nur ausnahmsweise unter Brücken zu finden. In tief eingeschnitten Gräben und Bächen in der Agrarlandschaft lohnt sich auch ein Durchwaten mit Watstiefeln, um eventuell vorhandene territoriale Männchen besser nachweisen zu können.

Sonstige Arten-Attribute

  • Zielart Biotopverbund (Bundesland)

Vorkommen


Status Etablierung

Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)

Nachweisabsicherung

Nein

Langfristiger Bestandstrend

starker Rückgang

Kurzfristiger Bestandstrend

  • deutliche Zunahme
  • gleichbleibend

Bestand

Die bereits von Klaus (2005) vermutete positive Bestandsentwicklung und Ausbreitung hat sich weiter fortgesetzt, so dass die Art aktuell für Sachsen als mäßig häufig bezeichnet werden kann. Der positive Bestandstrend ist vermutlich auch auf günstige klimatische Verhältnisse der letzten Jahrzehnte zurückzuführen. Die Zunahme der Jahresmitteltemperatur begünstigt die als wärmebedürftig geltenden Larven, während die gestiegene Anzahl an Sommertagen sich positiv auf das Überleben der Imagines auswirkt. Die plötzliche Verbesserung der Fließgewässerstrukturen nach dem Hochwasser 2002 führte zu zahlreichen spontanen Neuansiedlungen in den Flussauen, die jedoch aufgrund von wasserbaulichen Maßnahmen und Sukzession aktuell meist wieder erloschen sind. Erwartungsgemäß fehlt die Art weitgehend in den klimatisch benachteiligten Lagen der Mittelgebirge sowie in fließgewässerarmen Regionen, wie der Muskauer Heide. Großflächig fehlen Nachweise auch in den waldarmen Landschaften der Hügelländer, die aber vermutlich auch teilweise auf Erfassungsdefizite zurückzuführen sind. Hier ist eine gezielte Nachsuche auf diese und weitere Fließgewässerarten dringend erforderlich. Besonders kleinere Fließgewässer in der intensiv genutzten Agrarlandschaft sind in den Erfassungen stark unterrepräsentiert, da sie auf den ersten Blick unattraktiv wirken. Gerade diese Gewässer können aber bedeutsame Fortpflanzungsstätten für gefährdete und/oder streng geschützte Libellenarten darstellen.

Regionales Vorkommen

  • Chemnitz/Ob. Erzgebirge: Nachweis ab 1980
  • Oberes Elbtal/Osterzgeb.: Nachweis ab 1980
  • Oberlausitz/Niederschles.: Nachweis ab 1980
  • Westerzgebirge/Vogtland: Nachweis ab 1980
  • Westsachsen: Nachweis ab 1980

Vorkommenskarte

Vorkommenskarte

Naturraumkarte

Naturraumkarte

Phänologie


Phänogramm

Phänogramm

Erläuterung Phänologie

Aufgrund der häufig zweijährigen Larvalzeit sind ganzjährig Larven in den Entwicklungsgewässern anzutreffen. Sie reagieren im Winterhalbjahr besonders empfindlich auf Eingriffe in das Gewässer, da sie temperaturbedingt nur eingeschränkt bewegungs- und reaktionsfähig sind. Starke Feinsedimentfracht im Winterhalbjahr kann potenziell zum Ausfall der Darmatmung und nachfolgendem Ersticken der Larven führen.

Lebensraum


Fortpflanzungsstätten: Die Art reproduziert in Sachsen überwiegend in kleineren Fließgewässern, Hangwasseraustritten sowie Flachgewässern mit Wasserzug, die sich durch eine ganzjährige Wasserführung und thermische Begünstigung auszeichnen. Die Reproduktionsgewässer sind stark besonnt und stehen in unmittelbarem Kontakt zu kleinstrukturreichen Offenlandstandorten (Sand- und Schotterfluren, Extensivwiesen, Kahlschlägen etc.), in denen sich die Weibchen überwiegend aufhalten. Derartige terrestrische Lebensräume im Umfeld von mindestens 100 m zum Gewässer sind damit obligate Bestandteile der Fortpflanzungsstätte. Beidseitige Mahd der Ufer- und Verlandungsvegetation kann ebenso wie ein völliges Zuwachsen kleiner Gewässer zur (zeitweisen) Entwertung der Fortpflanzungsstätte führen.

Jagd- und Ruhestätten: Als Reife- und Jagdhabitate werden strukturreiche Offenlandlebensräume genutzt, wobei sich die Tiere teilweise >1000 m, in der Reifeflugperiode auch mehrere Kilometer vom Gewässer entfernen können. Als Ruhestätten dienen Hochstaudenfluren, Ruderalflächen und struktrurreiche Feuchtgebiete im Abstand bis über 500 m von den Reproduktionsgewässern.

Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: Regionale Abstufung unterhalb der Ebene Landkreis, z. B. Abgrabungsgebiet, Offenlandbereich mit besiedelten Gräben

Habitatkomplexe

  • Bergbaubiotope
  • Fließgewässer, Quellen

Habitatkomplexe Reproduktion

  • Bergbaubiotope
  • Fließgewässer, Quellen

Ökologische Charakterisierung

  • Fließgewässer
  • Gewässer mit besonderer Struktur

Höhenstufen

  • collin
  • planar

Management


Beurteilung

Aus dem gegenwärtigen positiven Bestandstrend lässt sich kein Bedarf überregionaler, über den allgemeinen Lebensraumschutz hinausgehender Schutzkonzepte ableiten. Grundsätzlich würde die Art von Maßnahmen der Auenrevitalisierung, insbesondere der Schaffung bzw. dem Erhalt von Nebengerinnen der Flussläufe profitieren.

Handlungsbedarf aus Landessicht

  • Landeszielart des Biotopverbundes

Management

Schutz durch allgemeinen Schutz der Lebensräume.

Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida

Gefährdungen


Die positive Bestandsentwicklung der letzten Jahrzehnte ist vermutlich überwiegend ein Effekt günstiger klimatischer Verhältnisse. Ferner profitierte die Art von neu entstandenen Abgrabungsgebieten und lokal von Verbesserungen in der Fließgewässerstrukturgüte. Hauptgefährdungsursachen der Art sind: 

Gewässerausbau und –regulierung 

  • zu intensive oder völlig fehlende Gewässerunterhaltung (Krautung, Beräumung, Böschungspflege) an Gräben 
  • starke Beschattung durch Uferbepflanzung oder Sukzession 
  • Verlust der terrestrischen Lebensräume im Gewässerumfeld (Grünlandumbruch, Beseitigung von hochwasserbedingten Überschotterungen, Übergang zu Dauerwaldnutzung ohne Kahlschläge

Sonstiges


Literatur

  • Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Libellen Sachsens. – Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege 2006, hrsg. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 20 S.

    Ott, J. & W. Piper (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). – In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 260–263.

    Sternberg, K. & R. Buchwald (2000): Orthetrum coerulescens (Fabricius, 1798) Kleiner Blaupfeil. In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs. Band 2. – Eugen Ulmer, Stuttgart: 506–523.

    Klaus, D. (2005): Kleiner Blaupfeil Orthetrum coerulescens (Fabricius, 1798) – In: Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.): Die Libellenfauna Sachsens. – Natur & Text, Rangsdorf: 242-246.

    Mauersberger, R. (1994): Zur wirklichen Verbreitung von Orthetrum coerulescens (Fabricius) und O. ramburi (Selys) = O. anceps (Schneider) in Europa und die Konsequenzen für deren taxonomischen Rang. – Deutsche Entomologische Zeitschrift 41: 235–256.

    Wildermuth, H. (2008): Habitat requirements of Orthetrum coerulescens and management of a secondary habitat in a highly man-modified landscape (Odonata: Libellulidae). - International Journal of Odonatology 11(2): 261-276

    Wildermuth, H. & A. Martens (2014): Taschenlexikon der Libellen Europas. Alle Arten von den Azoren bis zum Ural im Porträt. –Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.

  • Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Libellen Sachsens. – Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege 2006, hrsg. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 20 S.

    Ott, J. & W. Piper (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). – In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 260–263.

    Sternberg, K. & R. Buchwald (2000): Orthetrum coerulescens (Fabricius, 1798) Kleiner Blaupfeil. In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs. Band 2. – Eugen Ulmer, Stuttgart: 506–523.

    Klaus, D. (2005): Kleiner Blaupfeil Orthetrum coerulescens (Fabricius, 1798) – In: Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.): Die Libellenfauna Sachsens. – Natur & Text, Rangsdorf: 242-246.

    Mauersberger, R. (1994): Zur wirklichen Verbreitung von Orthetrum coerulescens (Fabricius) und O. ramburi (Selys) = O. anceps (Schneider) in Europa und die Konsequenzen für deren taxonomischen Rang. – Deutsche Entomologische Zeitschrift 41: 235–256.

    Wildermuth, H. (2008): Habitat requirements of Orthetrum coerulescens and management of a secondary habitat in a highly man-modified landscape (Odonata: Libellulidae). - International Journal of Odonatology 11(2): 261-276

    Wildermuth, H. & A. Martens (2014): Taschenlexikon der Libellen Europas. Alle Arten von den Azoren bis zum Ural im Porträt. –Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.

Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes

Offizieller Artensteckbrief des LfULG; Stand: 17.09.2015; Bearbeiter: Dr. André Günther und Marko Olias (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Heiner.Blischke@smul.sachsen.de

Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm