Allgemeine Arteninformationen
Taxonomie
Es gibt 3 Unterarten. In Mitteleuropa brütet die Nominatform Haematopus ostralegus ostralegus (Linnaeus, 1758).
Kennzeichen
Der Austernfischer ist ein krähengroßer, gedrungener Watvogel. Die Art ist unverkennbar. Kopf, Körper- und Flügeloberseite sind schwarz, die Unterseite ist weiß. Der gerade, lange und kräftige Schnabel sowie die Beine sind rot. Im Flug ist ein breiter weißer Flügelstreif zu sehen. Am Schwanz befindet sich ein schwarzes Endband. Die Geschlechter sind äußerlich kaum differenziert, jedoch hat das Weibchen einen etwas längeren Schnabel. Jungvögel sind oberseits bräunlich, ihr Schnabel hat eine schwarze Spitze und die Beine sind grau-rosa.
Biologie und Ökologie
Der Austernfischer ist in Mitteleuropa überwiegend ein Küstenvogel (Salzwiesen, Dünengebiete, Seemarschen). Die Art brütet meist am Boden in vegetationsarmen (sandig-kiesigen) oder kurzrasigen Habitaten, gelegentlich (an der Nordsee) auch auf Flachdächern. Es wird eine Jahresbrut mit 3-4 Eiern durchgeführt. Die Brutdauer beträgt 24-27 Tage, mit 32-35 Tagen sind die Jungvögel flügge. Die Jungen sind Nestflüchter, nach 3-6 Tagen kann der Familienverband vom Brutplatz in ein Nahrungsrevier wechseln. Der Austernfischer lebt in monogamer Dauerehe und ist sehr nistplatztreu.
Als Nahrung dienen Muscheln, Borstenwürmer, Krebse und Insekten.
Der Austernfischer ist ein Teil- bzw. Kurzstreckenzieher und überwintert hauptsächlich in Wattgebieten und Ästuaren im Nordseeraum und an der Atlantikküste. Im Wattenmeer der Nordsee findet in strengen Wintern eine Kälteflucht nach Westen statt. Die mitteleuropäischen Binnenlandbrüter ziehen gleich nach der Brutzeit an die Küste.
Überregionale Verbreitung
Der Austernfischer brütet in Eurasien in 3 Arealen. An den europäischen Küsten mit Schwerpunkt Nordsee und Nordatlantik, in Kleinasien, Westsibirien und dem südliches Zentralrussland, sowie in Kamtschatka und Ostchina.
Der Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland liegt an der Nordsee, vor allem auf den Inseln und an der Küste, aber auch das küstennahe Binnenland ist insbesondere in den See- und Flussmarschen von Ems, Weser und Elbe bis hin zu den angrenzenden Tiefländern am Niederrhein, im Münsterland, im Emsland und an der Unterelbe großflächig besiedelt. Die Ausbreitungstendenz ins Binnenland entlang der Flüsse war ab den 1930er Jahren festzustellen. In den Flussniederungen von Ems und Weser reicht die aktuelle Verbreitung bis zum Bergland. Östlich der Weser gibt es noch ein isoliertes Vorkommensgebiet am Mittellandkanal. An der Elbe drang die Brutverbreitung des Austernfischers weit ins Binnenland vor. In den 1970er Jahren wurde die Mittelelbe bei Magdeburg erreicht, ungefähr bis dorthin reicht die aktuelle geschlossene Brutverbreitung. 1989 wurden der Kreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt und das Riesa-Torgauer Elbtal in Nordsachsen erstmalig besetzt, die bis heute die küstenfernsten Binnenlandbrutplätze beherbergen.
An der Ostsee brütet der Austernfischer weniger zahlreich als an der Nordsee und bleibt (außer in Schleswig-Holstein) weitgehend auf die Küstenbereiche beschränkt. An der Mittleren Oder gibt es eine kleine isolierte Binnenlandpopulation, die sehr wahrscheinlich von der Ostsee aus besiedelt wurde.
Erhaltungszustand
nicht bewertet
Prüfung und Erfassung
Verantwortlichkeit (Sachsen)
Anteil Sachsen am deutschen Brutbestand: 0,0 %
Hinweise für Artenschutzprüfung
- Vogelart mit hervorgehobener artenschutzrechtlicher Bedeutung
- Einzelvorkommen als Bezug für die lokale Population bei artenschutzrechtlichen Prüfungen
Betrachtungsschwerpunkt Artenschutzprüfung
Brut- und Gastvogelaspekt
Untersuchungsstandards
Methodik, Wertungsgrenzen und Zeitraum der Brutvogelerfassung gemäß Südbeck et al. (2005)
Hinweise: Nichtbrüter von Brutpaaren unterscheiden, überwiegend unauffälliges Revierverhalten der Brutvögel, Nachweisabsicherung möglichst durch direkten Brutnachweis (insbesondere brütende oder fütternde Altvögel, Jungvögel)
Sonstige Arten-Attribute
- Brutvogelart des SPA-Fachkonzeptes (im weiteren Sinne, Tab. 3)
- Vogelart in den SPA-Standarddatenbögen (alt)
- Vogelart des SPA-Monitorings (Brutvögel)
Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI)
- als Brutvogel: II.5 (hoch)
- als Gastvogel: II.5 (hoch)
Naturschutzfachlicher Wert-Index (NWI)
- als Brutvogel: 4 (gering)
- als Gastvogel: 4 (gering)
Populationsökologischer Sensitivitäts-Index (PSI)
- als Brutvogel: 2 (sehr hoch)
- als Gastvogel: 2 (sehr hoch)
Vorkommen
Status Etablierung
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Status Vögel
Brutvogel, Gastvogel
Bemerkung zum Status
lokaler Brutvogel (Sommervogel), seltener Durchzügler, ausnahmsweise Wintergast
Nachweisabsicherung
Ja
Langfristiger Bestandstrend
deutliche Zunahme
Kurzfristiger Bestandstrend
gleichbleibend
Bestand
Brutbestand in Sachsen (nach Steffens et al. 2013):
1978-1982: 0 BP (Brutvogelkartierung 1)
1993-1996: 2-4 BP (geschätzt; Brutvogelkartierung 2)
2004-2007: 2-4 BP (Brutvogelkartierung 3)
2016: 3-5 BP (Expertenschätzung)
1989: erster Brutnachweis für Sachsen bei Torgau
1990-1998: Bruten/Ansiedlungsversuche in 4 Gebieten der Elbaue bei Torgau
1999-2003: keine Bruten
2004-2007: 1 BP am Kiessee Liebersee in der Elbaue östlich Belgern
ab 2008: 2 BP am Kiessee Liebersee
2006 und 2008: 1-2 Paare in der Elbaue im Raum Dommitzsch-Elsnig
2007-2008: 1 BP am Werbeliner See bei Delitzsch
2013 und 2014 1 BP in der Kiesgrube Löbnitz westlich von Bad Düben
Vorkommenskarte
Naturraumkarte
Phänologie
Phänogramm
Erläuterung Phänologie
Der Austernfischer kommt im (Februar) März/April in den sächsischen Brutgebieten an und zieht hier auch durch. Der Durchzug klingt im Mai aus. Die Kernbrutzeit reicht von Mitte April bis Mitte Juni (bis Juli). Im Juni/Juli werden umherstreifende Vögel beobachtet. Der Wegzug/Herbstdurchzug findet von Juli bis Oktober statt (Einzelbeobachtungen von November bis Januar) (Steffens et al. 2013).
Lebensraum
Der Austernfischer besiedelt lokale Brutplätze im Riesa-Torgauer Elbtal, vor allem in den Grenzbereichen zu Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Die sächsischen Brutplätze stellen den äußersten Verbreitungszipfel im Bereich der Elbe dar und sind das küstenfernste Brutvorkommen in Deutschland. Meist brütet der Austernfischer im Bereich sandig-kiesiger Inseln oder Flachufer an Kiesseen in der Nähe der Elbe (diese ist Besiedlungsleitlinie). Weitere Brutvorkommen liegen an Tagebaurestgewässern westlich der Mulde (Werbeliner See, Kiesgrube Löbnitz) und hier ebenfalls bevorzugt auf Inseln. Sporadisch finden Ackerbruten statt. In Sachsen-Anhalt gibt es regelmäßig Brutreviere an sandig-kiesigen Gleithängen und Buhnenfeldern der Elbe (potenziell auch in Sachsen). Auf dem Durchzug und zur Nahrungssuche trifft man den Austernfischer an flachen Gewässerufern, auf Schlammflächen, Feuchtgrünland, Überschwemmungsflächen und in Buhnenfeldern der Elbe an. Von den Kiesseen bei Mühlberg und Liebersee finden während der Brutzeit und Jungenaufzucht Nahrungsflüge der Altvögel zu Nahrungshabitaten in Buhnenfeldern der Elbe bis in 1-2 km Entfernung statt.
Lebensräume nach Artenschutzrecht
Fortpflanzungsstätten:
Die Fortpflanzungsstätte umfasst das Brutrevier (mit Brutplatz, Balz, Territorialverhalten, Reviermarkierung) einschließlich des Aufzuchtreviers, in dem die noch nicht flugfähigen Jungen von den Altvögeln geführt werden. Das engere Brutrevier ist < 500 m² (Flade 1994) bis 1 ha groß. Brut- und Aufzuchtrevier können räumlich beieinander liegen (z. B. Komplex aus Spülinseln und Flachwasserbereichen im Kiessee Liebersee) oder die Altvögel führen die Jungen im Alter einiger Tage in günstigere Nahrungsgebiete abseits des Brutreviers.
Ruhestätten:
Ruhestätten liegen zur Brutzeit innerhalb des Brut- und Aufzuchtreviers. Während des Brütens nächtigt oder ruht der nichtbrütende Partner oft in Nestnähe. Im Sommer und Herbst kommt es (an der Küste) zu großen Rast- und Schlafplatzgemeinschaften (Stiefel 1979).
Habitatkomplexe
- Bergbaubiotope
- Fließgewässer, Quellen
- Stillgewässer inkl. Ufer
Habitatkomplexe Reproduktion
- Bergbaubiotope
- Fließgewässer, Quellen
- Stillgewässer inkl. Ufer
Höhenstufen
Sonstiges
Literatur
Bernotat, D. & Dierschke, V. (2015): Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen 2. Fassung - Stand 25.11.2015. (Studie als PDF-Datei)
Bezzel, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Nonpasseriformes – Nichtsingvögel. AULA-Verlag, Wiesbaden.
Flade, M. (1994): Die Brutvogelgemeinschaften Mittel- und Norddeutschlands. IHW-Verlag, Eching.
Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S; Sudmann, S. R.; Steffens, R.; Vökler, F. & Witt, K. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten (Hrsg.), Münster.
Rau, S.; Ulbricht, J. & Zöphel, U. (2009): Bestandssituation ausgewählter gefährdeter Tierarten in Sachsen – Jahresbericht 2008. Naturschutzarbeit in Sachsen 51, 60-79.
Steffens, R.; Nachtigall, W.; Rau, S.; Trapp, H. & Ulbricht, J. (2013): Brutvögel in Sachsen. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden. (als PDF-Dateien unter Brutvögel in Sachsen, Seiten 1-247 sowie S. 248-436 bzw. S. 437-656)
Steffens, R.; Saemann, D. & Grössler, K. (Hrsg.) (1998): Die Vogelwelt Sachsens. Gustav Fischer Verlag, Jena.
Stiefel, A. (1979): Ruhe und Schlaf bei Vögeln. Die Neue Brehm-Bücherei 487. Ziemsen-Verlag, Wittenberg.
Südbeck, P.; Andretzke, H.; Fischer, S.; Gedeon, K.; Schikore, T.; Schröder, K. & Sudfeldt, C. (Hrsg.) (2005): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. Radolfzell.
Südbeck, P.; Bauer, H.-G.; Boschert, M.; Boye, P. & Knief, W. (2007): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 4. Fassung, 30. November 2007. Ber. Vogelschutz 44: 23-81.
http://de.wikipedia.org/wiki/Austernfischer
Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes
Offizieller Artensteckbrief des LfULG
Stand: 02.02.2022
Erstbearbeitung: 01.09.2016; Bearbeiter: Jörg Huth, Hans-Markus Oelerich (Halle)
Anpassung an die Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen im Dezember 2021 und Januar 2022
Die Artensteckbriefe werden bei Bedarf fortlaufend aktualisiert.
Legende zum Artensteckbrief unter: https://www.natur.sachsen.de/artensteckbriefe-21889.html
Der Artensteckbrief ist Bestandteil der Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen: https://www.natur.sachsen.de/arbeitshilfen-artenschutz-20609.html
Informationen zur Artengruppe für Sachsen: https://www.natur.sachsen.de/vogel-21259.html
Hinweise und Änderungsvorschläge zum Artensteckbrief bitte an:
Heiner.Blischke@smekul.sachsen.de