Allgemeine Arteninformationen
Taxonomie
3 Unterarten, in Mitteleuropa brütet die Unterart Charadrius dubius curonicus (Gmelin, 1789)
Kennzeichen
Der Flussregenpfeifer ist ein kleiner (ca. 15 cm) kontrastreich gefärbter Watvogel mit kurzem schwarzen Schnabel und relativ kurzen Beinen. Rücken, Scheitel und Flügeloberseite sind erdbraun. Stirn, Kehle, Nackenband und Unterseite sind weiß und kontrastreich von der im Brutkleid schwarzen Stirn-Augen-Wangen-Maske und dem schwarzen Brustband abgesetzt. Die Beine sind bräunlich-fleischfarben und die schwarzen Augen sind im Gegensatz zu den anderen Regenpfeifern von einem auffallend gelben Lidring umgeben. Beide Geschlechter sind gleich gefärbt. Maske und Brustband sind im Schlichtkleid und bei Jungvögeln bräunlich.
Dem Flussregenpfeifer ähnlich ist der etwas kräftigere Sandregenpfeifer. Bei diesem ist das Brustband breiter, der Schnabel ist an der Basis orange, der gelbe Lidring fehlt, und im Flug hat er einen deutlichen weißen Flügelstreif. Zudem brütet der Sandregenpfeifer in Deutschland nur an Meeresküsten und in Küstennähe.
Biologie und Ökologie
Natürliche Bruthabitate des Flussregenpfeifers sind Schotter-, Kies-, Sand- und trockene Schlammufer von Flüssen und großen Seen. Heute nutzt er vor allem Abgrabungen und andere künstlich entstandene vegetationsarme Flächen mit kiesig-sandigem Substrat als Bruthabitat (z. B. Kohletagebaue, Kies- und Sandgruben, Spülfelder, Deponien, abgelassene Teiche). Der Flussregenpfeifer ist ein Bodenbrüter der sein Nest auf kahler, übersichtlicher Fläche mit kiesigem oder schotterigem Untergrund baut. Meist sind Gewässer in der Nähe, zumindest größere Pfützen oder andere temporäre Überstauungsbereiche, er brütet aber auch gewässerfern. Auf Sandflächen werden Stellen mit Steinchen oder Muscheln bevorzugt. Die Männchen drehen mehrere Nestmulden, von denen später eine zur Brut genutzt wird. Die Art ist meist Einzelbrüter, kann aber auch dicht nebeneinander brüten (Nestabstand < 10 m). In saisonaler Monogamie wird eine Jahresbrut mit 3-4 Eiern durchgeführt. Die Brutdauer beträgt 22-28 Tage. Die Jungen sind Nestflüchter, 24-29 Tage nach dem Schlupf sind sie flügge. Beide Altvögel brüten und führen die Jungen.
Als Nahrung dienen Insekten und Spinnen und daneben kleine Mollusken, Würmer, Krebstiere sowie Sämereien.
Der Flussregenpfeifer ist meist ein Langstreckenzieher mit Winterquartieren südlich der Sahara von der Küste West-Afrikas bis nach Somalia, Kenia und Tansania an der afrikanischen Ostküste. Schwerpunkte liegen in der Sahelzone und Ost-Afrika. Nur wenige Individuen überfliegen den Äquator. Nördlich der Sahara überwintert die Art fast nur in Ägypten, vereinzelt auch im Mittelmeerraum.
Überregionale Verbreitung
Der Flussregenpfeifer ist Brutvogel Eurasiens von den Kanarischen Inseln und Nordwestafrika bis Japan. Zwei Unterarten bewohnen den Indischen Subkontinent, Südost-Asien und die Inseln Indonesiens. Die Art brütet in fast ganz Europa, fehlt aber im atlantischen Norden und Nordwesten (Island, Schottland, Irland, Nord-Skandinavien) und kommt in Südeuropa mit zahlreichen Verbreitungslücken vor.
In Deutschland ist der Flussregenpfeifer mit Schwerpunkt im Tiefland fast flächendeckend verbreitet. Dichtezentren liegen in den großen Flusstälern, insbesondere von Elbe und Rhein (hier vor allem in Kiesabbaugebieten, an Elbe und Mulde aber auch in natürlichen Habitaten), in den Braunkohle-Tagebaugebieten des südlichen Ostdeutschlands sowie an naturnahen Flüssen des Alpenvorlands. Größere Verbreitunglücken bestehen vor allem in den höheren Lagen der Mittelgebirge.
Erhaltungszustand
ungünstig-unzureichend
Prüfung und Erfassung
Verantwortlichkeit (Sachsen)
Anteil Sachsen am deutschen Brutbestand: 8,5 %
Hinweise für Artenschutzprüfung
- Vogelart mit hervorgehobener artenschutzrechtlicher Bedeutung
- Gemeindegebiet als Bezugsraum für die lokale Population bei artenschutzrechtlichen Prüfung
Betrachtungsschwerpunkt Artenschutzprüfung
Brutvogelaspekt
Untersuchungsstandards
Methodik, Wertungsgrenzen und Zeitraum der Brutvogelerfassung gemäß Südbeck et al. (2005)
Hinweise: Durchzügler bis Mitte Mai beachten, auch danach nichtbrütende Trupps oder Einzelindividuen möglich, Scheinnisten kann Brut vortäuschen; Bestandsüberschätzung vermeiden (hohe Mobilität der Jungvögel, Ortswechsel der Familien nach dem Flüggewerden der Jungen)
Sonstige Arten-Attribute
- Brutvogelart des SPA-Fachkonzeptes (im weiteren Sinne, Tab. 3)
- Vogelart in den SPA-Standarddatenbögen (alt)
- Vogelart des SPA-Monitorings (Brutvögel)
Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI)
- als Brutvogel: III.6 (mittel)
- als Gastvogel: III.7 (mittel)
Naturschutzfachlicher Wert-Index (NWI)
- als Brutvogel: 3 (mittel)
- als Gastvogel: 4 (gering)
Populationsökologischer Sensitivitäts-Index (PSI)
- als Brutvogel: 4 (relativ hoch)
- als Gastvogel: 4 (relativ hoch)
Vorkommen
Status Etablierung
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Status Vögel
Brutvogel, Gastvogel
Bemerkung zum Status
Sommervogel, Durchzügler
Nachweisabsicherung
Nein
Langfristiger Bestandstrend
- gleichbleibend
- deutliche Zunahme
Kurzfristiger Bestandstrend
gleichbleibend
Bestand
Brutbestand in Sachsen (nach Steffens et al. 2013):
1978-1982: 400-600 BP (Brutvogelkartierung 1)
1993-1996: 500-700 BP (Brutvogelkartierung 2)
2004-2007: 500-700 BP (Brutvogelkartierung 3)
2016: 400-600 BP (Expertenschätzung)
Vorkommenskarte
Naturraumkarte
Phänologie
Phänogramm
Erläuterung Phänologie
Flussregenpfeifer kommen in den sächsischen Brutgebieten ab Mitte März an (1999-2009 vom 09.03. bis 26.03.). Erstbeobachtungen in der Oberlausitz liegen deutlich später als in Nordwest-Sachsen. Es wird zumeist eine Jahresbrut durchgeführt (Ersatzbruten nur in geringem Umfang). Die Brutzeit erstreckt sich von Mitte April bis Ende August mit Schwerpunkt Mai bis Juli. Bald nach dem Flüggewerden verlassen die Jungvögel die Brutplätze und streifen umher. Der Wegzug beginnt im Juni/Juli und ist meist im September beendet (adulte Tiere ziehen vor den Jungvögeln ab). Nur noch wenige Nachweise liegen im Zeitraum von Mitte Oktober bis Anfang November (Steffens et al. 1998, 2013).
Lebensraum
Natürliche Bruthabitate des Flussregenpfeifers in Sachsen sind Kies- und Schotterbänke größerer Flüsse außerhalb der Mittelgebirge (aktuell vor allem Vereinigte Mulde und Elbe unterhalb Meißen). Überwiegend brütet er jedoch in anthropogenen Lebensräumen, insbesondere in den Braunkohle-Bergbaufolgelandschaften nördlich und südlich von Leipzig und in der Lausitz sowie in den Kiesabbaugebieten an Elbe und Mulde. Daneben werden auch andere vegetationsarme Flächen mit meist sandig-kiesigem Substrat besiedelt (z. B. Sandgruben, Steinbrüche, flache Abraumhalden, Deponien, Kläranlagen, Spülflächen, abgelassene Teiche, Industrie-Absetzbecken, Baustellen, Uferzonen von Talsperren, Nassstellen auf Feldern, sandige Flächen im Wald, Flugplätze, Kiesdächer). Die Art brütet bevorzugt in Wassernähe. Die Brutplätze bestehen oft nur kurze Zeit. Neu entstandene geeignete Plätze werden sehr schnell besiedelt. Außerhalb der Brutzeit hält sich der Flussregenpfeifer gern auf größeren, abgetrockneten Schlammflächen auf.
Lebensräume nach Artenschutzrecht
Fortpflanzungsstätten:
Die Fortpflanzungsstätte umfasst das Brutrevier (mit Brutplatz, Balz, Territorialverhalten, Reviermarkierung) einschließlich des Aufzuchtreviers, in dem die noch nicht flugfähigen Jungen von den Altvögeln geführt werden. Das Brutrevier ist in der Regel 1-2 ha groß (Flade 1994), jedoch können schon kleine bodenoffene Areale von 20-50 m² als Brutplatz ausreichen (Südbeck et al. 2005). Brut- und Aufzuchtrevier können räumlich beieinander liegen oder die Altvögel führen die Jungen im Alter einiger Tage in günstigere Nahrungsgebiete abseits des Brutplatzes (z. B. bei gewässerfernen Bruten).
Ruhestätten:
Ruhestätten liegen zur Brutzeit innerhalb des Brut- und Aufzuchtreviers. Flussregenpfeifer schlafen liegend am (trockenen) Boden oder stehend auf einem Bein (Stiefel 1979). Außerhalb der Brutzeit regelmäßig aufgesuchte Rasthabitate gehören ebenfalls zu den Ruhestätten (der Flussregenpfeifer rastet meist nur in kleinen Individuengruppen).
Habitatkomplexe
- Äcker und Sonderkulturen
- Bergbaubiotope
- Fels-/Gesteins-/Offenbodenbiotope
- Fließgewässer, Quellen
- Ruderalfluren, Brachen
- Stillgewässer inkl. Ufer
Habitatkomplexe Reproduktion
- Äcker und Sonderkulturen
- Bergbaubiotope
- Fels-/Gesteins-/Offenbodenbiotope
- Fließgewässer, Quellen
- Stillgewässer inkl. Ufer
Höhenstufen
Sonstiges
Literatur
Bernotat, D. & Dierschke, V. (2015): Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen 2. Fassung - Stand 25.11.2015. (Studie als PDF-Datei)
Bezzel, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Nonpasseriformes – Nichtsingvögel. AULA-Verlag, Wiesbaden.
Flade, M. (1994): Die Brutvogelgemeinschaften Mittel- und Norddeutschlands. IHW-Verlag, Eching.
Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S; Sudmann, S. R.; Steffens, R.; Vökler, F. & Witt, K. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten (Hrsg.), Münster.
Steffens, R.; Nachtigall, W.; Rau, S.; Trapp, H. & Ulbricht, J. (2013): Brutvögel in Sachsen. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden. (als PDF-Dateien unter Brutvögel in Sachsen, Seiten 1-247 sowie S. 248-436 bzw. S. 437-656)
Steffens, R.; Saemann, D. & Grössler, K. (Hrsg.) (1998): Die Vogelwelt Sachsens. Gustav Fischer Verlag, Jena.
Stiefel, A. (1979): Ruhe und Schlaf bei Vögeln. Die Neue Brehm-Bücherei 487. Ziemsen-Verlag, Wittenberg.
Südbeck, P.; Andretzke, H.; Fischer, S.; Gedeon, K.; Schikore, T.; Schröder, K. & Sudfeldt, C. (Hrsg.) (2005): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. Radolfzell.
Südbeck, P.; Bauer, H.-G.; Boschert, M.; Boye, P. & Knief, W. (2007): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 4. Fassung, 30. November 2007. Ber. Vogelschutz 44: 23-81.
http://de.wikipedia.org/wiki/Flussregenpfeifer
Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes
Offizieller Artensteckbrief des LfULG
Stand: 02.02.2022
Erstbearbeitung: 01.09.2016; Bearbeiter: Jörg Huth, Michael Reuter, Hans-Markus Oelerich (Halle)
Anpassung an die Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen im Dezember 2021 und Januar 2022
Die Artensteckbriefe werden bei Bedarf fortlaufend aktualisiert.
Legende zum Artensteckbrief unter: https://www.natur.sachsen.de/artensteckbriefe-21889.html
Der Artensteckbrief ist Bestandteil der Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen: https://www.natur.sachsen.de/arbeitshilfen-artenschutz-20609.html
Informationen zur Artengruppe für Sachsen: https://www.natur.sachsen.de/vogel-21259.html
Hinweise und Änderungsvorschläge zum Artensteckbrief bitte an:
Heiner.Blischke@smekul.sachsen.de