Allgemeine Arteninformationen
Taxonomie
keine Unterarten
Kennzeichen
Der Kiebitz ist ein etwa taubengroßer, kontrastreich schwarz-weiß gefärbter Watvogel und mit anderen Arten kaum zu verwechseln. Kennzeichnend ist die lange dunkle Haube auf dem Kopf (Federholle). Im Brutkleid schimmert die dunkle Oberseite metallisch grün und violett, der Bauch ist weiß mit scharf abgegrenztem schwarzem Brustband. Im Flug mit lockeren, eher langsamen Flügelschlägen fallen die breit gerundeten Flügelenden und die kontrastreichen Flügelunterseiten auf, die innen weiß und außen schwarz sind. Der Schwanz trägt eine breite dunkle Endbinde.
Die Kopfseiten sind weiß mit dunkler Zeichnung um das Auge bzw. an der Schnabelwurzel. Das Männchen hat zur Brutzeit eine längere Federholle, eine intensivere Schwarzfärbung sowie eine völlig schwarze Kehle. Das Weibchen hat einen weißen Kehlfleck, der bei beiden Geschlechtern im Schlichtkleid noch deutlicher ist. Zudem sind außerhalb der Brutzeit die Adulten und die Jungvögel deutlich matter gefärbt. Zur Frühjahresbalz zeigen die Paare unverwechselbare akrobatische Flugspiele mit den typischen „chiu-witt“-Rufen.
Biologie und Ökologie
Der Kiebitz ist ein Brutvogel flacher, weithin offener, gehölzarmer und wenig strukturierter Landschaften mit lückiger oder kurzer Vegetation. Er besiedelt meist feuchte oder zeitweilig überstaute Standorte, aber auch trockene Standorte, die dann aber oft in der Nähe von Feuchtstellen liegen. Bruthabitate sind vor allem Äcker (besonders Nassstellen), Überschwemmungsflächen, kurzrasige Grünländer, Salzwiesen, Schlammflächen und kurzrasige lückige Ruderalfluren. Das Bodennest befindet sich oft an einer geringfügig erhöhten, kahlen bis spärlich bewachsenen, trockenen Stelle. Die Nestmulde ist mit trockenem Material ausgelegt. Der Kiebitz brütet in lockeren Kolonien, aber auch als einzelnes Brutpaar in meist saisonaler Monogamie, es tritt aber auch Polygamie auf. Es finden 1-2 Jahresbruten statt. Das Vollgelege enthält meist 4 Eier. Die Brutdauer beträgt 26-29 Tage, mit 35-40 Tagen sind die Jungvögel flügge. Beide Altvögel brüten und führen die Jungen.
Als Nahrung dienen meist kleine Bodentiere, insbesondere Insekten und deren Larven, weiterhin Regenwürmer. Zumindest zeitweise wird auch ein größerer Anteil pflanzlicher Nahrung (Samen und Früchte von Wiesenpflanzen) genutzt.
Der Kiebitz ist ein Kurzstreckenzieher sowie z. T. Stand- und Strichvogel. Die Art überwintert vor allem in West- und Südwesteuropa bis Nord-Afrika (wenige bis Senegal), im Mittelmeergebiet, im unteren Niltal, in Vorderasien sowie in Süd- und Ostasien. Auch in Mitteleuropa kommt es in milden Wintern zu Überwinterungen. Das Zugverhalten wird stark von der Winterkälte beeinflusst. Im Südwesten des Brutareals ist der Kiebitz Standvogel.
Überregionale Verbreitung
Der Kiebitz ist Brutvogel Eurasiens in der gemäßigten und mediterranen Zone, von den britischen Inseln im Westen bis zum Pazifik im Osten. Er brütet in fast ganz Europa außer auf Island. Im Norden reicht das Brutgebiet in Fennoskandien bis ca. 70° N und in Russland bis ca. 65° N. In Südeuropa ist die Art nur lückig und inselartig verbreitet. Die südlichsten Vorkommen liegen in Spanien.
In Deutschland ist der Kiebitz vor allem im Norddeutschen Tiefland und im Alpenvorland verbreitet, der Vorkommensschwerpunkt liegt im Nordwestdeutschen Tiefland (vom Niederrheinischen Tiefland bis zur schleswig-holsteinischen Westküste). Deutlich seltener, aber noch beinahe flächendeckend verbreitet, ist die Art im Nordostdeutschen Tiefland. Die Mittelgebirgsregionen werden mit großen Verbreitungslücken nur sehr verstreut besiedelt. Zusammenhängende Vorkommensgebiete finden sich hier nur im Rheintal, im Rhein-Main-Gebiet, in der Wetterau und in Franken.
Erhaltungszustand
ungünstig-schlecht
Prüfung und Erfassung
Verantwortlichkeit (Sachsen)
Anteil Sachsen am deutschen Brutbestand: 0,3 %
Hinweise für Artenschutzprüfung
- Vogelart mit hervorgehobener artenschutzrechtlicher Bedeutung
- Einzelvorkommen als Bezug für die lokale Population bei artenschutzrechtlichen Prüfungen
Betrachtungsschwerpunkt Artenschutzprüfung
Brut- und Gastvogelaspekt
Untersuchungsstandards
Methodik, Wertungsgrenzen und Zeitraum der Brutvogelerfassung gemäß Südbeck et al. (2005)
Hinweise: Der Bestand sollte möglichst durch die Erfassung brütender Altvögel ermittelt werden (die hohe Mobilität der Jungvögel kann zu Mehrfachzählungen führen, zudem sind ab Anfang Mai Nachgelege und Zuzug aus anderen Gebieten zu beachten).
Sonstige Arten-Attribute
- Fokusart im SPA-Management
- windkraftempfindlich
- Brutvogelart des SPA-Fachkonzeptes (im engeren Sinne, Tab. 1+2)
- Wasservogelart des SPA-Fachkonzeptes (Tab. 4)
- Triggerart (Vögel) - Brut
- Brutvogelart der SPA-Erhaltungszieleverordnungen
- Vogelart in den SPA-Standarddatenbögen (alt)
- Brutvogelart in den SPA-Standarddatenbögen (neu) - Fortpflanzung
- Vogelart des SPA-Monitorings (Brutvögel)
Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI)
- als Brutvogel: II.4 (hoch)
- als Gastvogel: II.5 (hoch)
Naturschutzfachlicher Wert-Index (NWI)
- als Brutvogel: 2 (hoch)
- als Gastvogel: 3 (mittel)
Populationsökologischer Sensitivitäts-Index (PSI)
- als Brutvogel: 3 (hoch)
- als Gastvogel: 3 (hoch)
Vorkommen
Status Etablierung
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Status Vögel
Brutvogel, Gastvogel
Bemerkung zum Status
Sommervogel, Durchzügler, seltener Wintergast
Nachweisabsicherung
Nein
Langfristiger Bestandstrend
- Rückgang, Ausmaß unbekannt
- mäßiger Rückgang
Kurzfristiger Bestandstrend
sehr starke Abnahme
Bestand
Brutbestand in Sachsen (nach Steffens et al. 2013):
1978-1982: 1800-4000 BP (Brutvogelkartierung 1)
1993-1996: 900-1600 BP (Brutvogelkartierung 2)
2004-2007: 400-800 BP (Brutvogelkartierung 3)
2016: 100-200 BP (Expertenschätzung)
Vorkommenskarte
Naturraumkarte
Phänologie
Phänogramm
Erläuterung Phänologie
Der Heim- und Frühjahresdurchzug beginnt in Sachsen meist ab Februar (in milden Wintern auch schon im Januar), der Großteil der sächsischen Brutvögel kommt im März an, die letzten im April. Die Reviere werden ab Anfang März besetzt. Die Eiablage beginnt ab Ende März, viele Paare fangen aber erst im April an zu brüten. Gelegeverluste sind beim Kiebitz allgemein sehr hoch, so dass es häufig zu Ersatzgelegen bzw. Nachbruten kommt. Junge schlüpfen frühestens in der 2. Aprildekade, bei Ersatzbruten bis Ende Juni/Anfang Juli.
Bereits ab Ende Mai/Anfang Juni ziehen größere Trupps und Schwärme umher (Zwischenzug). Besonders im Flach- und Hügelland sind ab Juni längere Aufenthalte von Mausertrupps zu beobachten. Der Frühsommerzug geht in den Wegzug über, welcher im Oktober kulminiert. Regional und jahrweise existieren sehr unterschiedliche Zugabläufe mit vielfältigen Wetterfluchterscheinungen während beider Zugzeiten. Ein Daueraufenthalt großer Trupps ist im Herbst und Frühwinter möglich, der durch Schnee und Frost beendet wird (Steffens et al. 1998, 2013).
Lebensraum
Der Kiebitz ist Brutvogel offener, gehölzarmer Landschaften mit lückiger und sehr kurzer Vegetation, meist an feuchten oder grundwassernahen Standorten. Ursprünglich war er eine Charakterart ausgedehnter feuchter Wiesen, Weiden und Wiesensümpfe. Aktuell weicht die Art aufgrund intensiverer Grünlandnutzung überwiegend auf Äcker aus, und brütet hier besonders an temporären, im Frühjahr allmählich abtrocknenden Feuchtstellen. Der Kiebitz besiedelt vor allem unbestellte und frisch gepflügte Äcker, kleinwüchsige Hackfruchtkulturen und junge Getreidesaaten und aufgrund der späten Bestellung der Flächen auch Maisäcker. Der Bruterfolg auf Äckern ist oft gering und abhängig von der Bewirtschaftungsintensität. Der Kiebitz brütet zudem auf vernässten und trockeneren Standorten mit beginnender Pflanzenbesiedlung, meist an oder in der Nähe flacher Gewässer (z. B. Abbaugebiete, Staubecken, Talsperren, Spülflächen, Klärteiche oder abgelassene Teiche). Die Art meidet weitgehend die Nähe von Gehölzen. Außerhalb der Brutzeit kommt der Kiebitz meist auf kurzrasigen bis kahlen Flächen (z. B. frisch gemähte Wiesen, umgebrochene Äcker, Schlammflächen, abgelassene Teiche) vor.
Lebensräume nach Artenschutzrecht
Fortpflanzungsstätten:
Die Fortpflanzungsstätte umfasst den Brutplatz (Einzelnest oder Kolonie) einschließlich der Nestumgebung, die für Balz, Territorialverhalten und Jungenaufzucht benötigt wird. Der Bereich in dem die Jungen nach dem Schlupf bis zum Flüggewerden geführt werden kann auch außerhalb des Brutreviers liegen (z. B. Brut auf Acker, Jungenaufzucht in benachbartem Feuchtgrünland). Der Raumbedarf zur Brutzeit beträgt mindestens 1-3 ha (Flade 1994). Das Nest wird jedes Jahr neu gebaut, bei entsprechender Habitateignung werden Brutplätze ortstreu wieder besetzt.
Ruhestätten:
Der Kiebitz ruht am Boden. Zur Brutzeit ruhen das Weibchen auf dem Nest und das Männchen in Nestnähe, d. h. die Ruhestätten liegen innerhalb des Brutreviers. Die Jungvögel schlafen 2-3 Wochen unter der Mutter, später einzeln in Deckung bietender Vegetation. Männchen und Nichtbrüter ruhen und schlafen zur Brutzeit häufig in neutralen Gebieten ohne Revierauseinandersetzungen. Zugtrupps schlafen in teilweise großen Verbänden (bis einige Tausend) im flachen Wasser stehend (Stiefel 1979). Schlaf- und Ruheplätze von Zugtrupps finden sich z. B. auf größeren gewässernahen Schlamm- und Spülflächen, in vegetationsarmen oder kurzgrasigen Flachwasserbereichen, an abgelassenen Teichen mit Restwasserflächen und auf sandig-kiesigen Inseln in Abbaurestgewässern. Auch andere regelmäßig genutzte Rast- und Nahrungshabitate (z. B. auf Äckern oder Grünland) gehören zu den Ruhestätten.
Habitatkomplexe
- Äcker und Sonderkulturen
- Bergbaubiotope
- Feuchtgrünland, Staudenfluren
- Fließgewässer, Quellen
- Grünland, Grünanlagen
- Moore
- Ruderalfluren, Brachen
- Stillgewässer inkl. Ufer
- Sümpfe, Niedermoore, Ufer
Habitatkomplexe Reproduktion
- Äcker und Sonderkulturen
- Bergbaubiotope
- Feuchtgrünland, Staudenfluren
- Grünland, Grünanlagen
- Stillgewässer inkl. Ufer
- Sümpfe, Niedermoore, Ufer
Höhenstufen
Management
Handlungsbedarf aus Landessicht
- Landes-TOP 50-Art für den Artenschutz/das Artenmanagement
- Landesprioritäres Natura 2000-Schutzgut
- Landeszielart des Biotopverbundes
Sonstiges
Literatur
Bernotat, D. & Dierschke, V. (2015): Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen 2. Fassung - Stand 25.11.2015. (Studie als PDF-Datei)
Bezzel, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Nonpasseriformes – Nichtsingvögel. AULA-Verlag, Wiesbaden.
Dürr, T. (2015): Vogelverluste an Windenergieanlagen in Deutschland - Daten der zentrale Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg, Stand 02.06.2015. Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) des Landes Brandenburg. (Excel-Tabelle 'Vogelverluste an Windenergieanlagen in Deutschland')
Flade, M. (1994): Die Brutvogelgemeinschaften Mittel- und Norddeutschlands. IHW-Verlag, Eching.
Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S; Sudmann, S. R.; Steffens, R.; Vökler, F. & Witt, K. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten (Hrsg.), Münster.
LfULG (2015): Das Bodenbrüterprojekt im Freistaat Sachsen 2009-2013. Schriftenreihe Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Heft 4/2015 (Veröffentlichung als PDF-Datei)
SMEKUL – Sächsisches Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (2021): Leitfaden Vogelschutz an Windenergieanlagen im Freistaat Sachsen (Stand 1. Dezember 2021): https://www.natur.sachsen.de/download/Leitfaden-Vogelschutz-an-Windenergieanlagen.pdf.pdf
Steffens, R.; Nachtigall, W.; Rau, S.; Trapp, H. & Ulbricht, J. (2013): Brutvögel in Sachsen. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden. (als PDF-Dateien unter Brutvögel in Sachsen, Seiten 1-247 sowie S. 248-436 bzw. S. 437-656)
Steffens, R.; Saemann, D. & Grössler, K. (Hrsg.) (1998): Die Vogelwelt Sachsens. Gustav Fischer Verlag, Jena.
Stiefel, A. (1979): Ruhe und Schlaf bei Vögeln. Die Neue Brehm-Bücherei 487. Ziemsen-Verlag, Wittenberg.
Südbeck, P.; Andretzke, H.; Fischer, S.; Gedeon, K.; Schikore, T.; Schröder, K. & Sudfeldt, C. (Hrsg.) (2005): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. Radolfzell.
Südbeck, P.; Bauer, H.-G.; Boschert, M.; Boye, P. & Knief, W. (2007): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 4. Fassung, 30. November 2007. Ber. Vogelschutz 44: 23-81.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kiebitz
Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes
Offizieller Artensteckbrief des LfULG
Stand: 02.02.2022
Erstbearbeitung: 01.09.2016; Bearbeiter: Jörg Huth, Hans-Markus Oelerich, Michael Reuter (Halle)
Anpassung an die Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen im Dezember 2021 und Januar 2022
Die Artensteckbriefe werden bei Bedarf fortlaufend aktualisiert.
Legende zum Artensteckbrief unter: https://www.natur.sachsen.de/artensteckbriefe-21889.html
Der Artensteckbrief ist Bestandteil der Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen: https://www.natur.sachsen.de/arbeitshilfen-artenschutz-20609.html
Informationen zur Artengruppe für Sachsen: https://www.natur.sachsen.de/vogel-21259.html
Hinweise und Änderungsvorschläge zum Artensteckbrief bitte an:
Heiner.Blischke@smekul.sachsen.de