Allgemeine Arteninformationen
Taxonomie
Es werden ca. 9 Unterarten unterschieden. Davon kommt Luscinia svecica cyanecula (Weißsterniges Blaukehlchen) im mitteleuropäischen Tiefland und L. s. svecica (Rotsterniges Blaukehlchen) in Nordeuropa und lokal in den den Hochlagen der Alpen und des nördlichen Karpatenbogens vor.
Kennzeichen
Das Weißsternige Blaukehlchen ist so groß wie ein Rotkehlchen, jedoch schlanker und hochbeiniger. Das Männchen hat eine leuchtend blaue Kehle mit einem kleinen weißen Fleck in der Mitte, der auch fehlen kann. Die blaue Kehle wird zum Bauch hin durch ein schmales schwarz-weißes und ein breiteres rostrotes Band begrenzt. Scheitel, Rücken und Flügel sind braun gefärbt. Markant ist ein weißlicher, zum Scheitel hin schwarz begrenzter Überaugenstreif. Der Schwanz ist (besonders im Flug) auffällig zweifarbig: das Schwanzende ist braunschwarz und die Seiten der Schwanzbasis sind rostrot gefärbt. Beim Weibchen fehlt die leuchtend blaue Kehle, diese ist meist cremefarben mit dunkelfleckiger Rahmung, kann aber bei älteren Weibchen der des Männchens ähnlich (nur blasser) sein. Der helle Überaugenstreif und die rostroten Schwanzseiten sind auch beim Weibchen vorhanden.
Biologie und Ökologie
Das Weißsternige Blaukehlchen brütet an vernässten Standorten, insbesondere in Verlandungszonen von Gewässern. Es benötigt ein Mosaik aus vegetationsarmen Bereichen (Nahrungssuche) und deckungsreichen Flächen mit Gebüschen, Altschilf und Hochstaudenfluren (Neststandort, Singwarten). Primärlebensräume sind Niedermoore, Hochmoorränder, Altwässer, Flussauen sowie Verlandungszonen und Uferbereiche von Still- und Fließgewässern. Besonders hohe Siedlungsdichten können in heterogen strukturierten Schilfröhrichten mit einem hohen Anteil an äußeren und inneren Grenzlinien erreicht werden. In der Kulturlandschaft kommt es an Nassbrachen, Gräben, Abbaugewässern, Teichen, Spülfeldern und auch an bodenfeuchten Agrarflächen (vor allem an Rapsfeldern) vor.
Das Weißsternige Blaukehlchen ist ein Freibrüter, das Nest wird bodennah in dichter Vegetation angelegt. Es kommt zu 1-2 Bruten im Jahr, wobei die Gelege 4-7 Eier enthalten. Die Bebrütung der Eier dauert 12-14 Tage, worauf sich eine Nestlingszeit von 13-14 Tagen anschließt. Das Weibchen brütet und hudert (bedeckt, schützt, wärmt) die Nestlinge allein.
Die Nahrung des Blaukehlchens besteht hauptsächlich aus Insekten, zudem aus Spinnen, Würmern und kleinen Schnecken. Im Herbst werden auch Beeren und Früchte gefressen.
Das Weißsternige Blaukehlchen ist ein Mittel- und Langstreckenzieher mit Überwinterungsgebieten auf der Iberischen Halbinsel und in Nordafrika, hauptsächlich jedoch in Afrika südlich der Sahara, vereinzelt auch in Vorderasien und am Persischen Golf.
Überregionale Verbreitung
Das Blaukehlchen besiedelt große Teile der Paläarktis von Südwesteuropa und Fennoskandien bis Ostsibirien sowie den äußersten Nordwesten Alaskas. Das Brutareal des Weißsternigen Blaukehlchens grenzt südlich bzw. südwestlich an das Teilareal der 'rotsternigen' Unterart (L. s. svecica). Es erstreckt sich lückenhaft von Zentralspanien und Frankreich, über die Tieflandsbereiche der Niederlande, Deutschlands und Polens bis nach Mittelrussland. Inselartige Vorkommen gibt es am nördlichen Alpenrand und in Ungarn.
Das Weißsternige Blaukehlchen ist in Deutschland sehr lückenhaft verbreitet. Die bedeutendsten Vorkommen liegen in der Watten- und Marschregion des Nordwestdeutschen Tieflandes. Hieran schließen sich Schwerpunkte entlang der Unterläufe von Ems, Weser und Elbe an. Im Nordostdeutschen Tiefland ist die Art trotz hoher Anteile naturnaher Niederungen und Seengebiete relativ spärlich verbreitet. Die bedeutendsten Bestände konzentrieren sich im Flusstal der Peene, in der Uckermark, an der Unteren und Mittleren Oder sowie in der Mittleren Havelniederung. Einen weiteren Verbreitungsschwerpunkt stellen die Niederungsgebiete der größeren Flüsse in den Mittelgebirgsregionen dar (z. B. nördliches Oberrheinisches Tiefland, Main zwischen Coburger Land und Steigerwald, Regnitzniederung, Aischgrund). Im Alpenvorland sind vor allem das Tal der Donau ab dem Donauried sowie das untere Isartal besiedelt.
Erhaltungszustand
günstig
Prüfung und Erfassung
Verantwortlichkeit (Sachsen)
Anteil Sachsen am deutschen Brutbestand: 0,7 %
Hinweise für Artenschutzprüfung
- Vogelart mit hervorgehobener artenschutzrechtlicher Bedeutung
- Gemeindegebiet als Bezugsraum für die lokale Population bei artenschutzrechtlichen Prüfung
Betrachtungsschwerpunkt Artenschutzprüfung
Brutvogelaspekt
Untersuchungsstandards
Methodik, Wertungsgrenzen und Zeitraum der Brutvogelerfassung gemäß Südbeck et al. (2005)
Hinweise: Einsatz einer Klangattrappe zum Erstnachweis oder bei geringer Siedlungsdichte sinnvoll; Nachweise der Unterart Luscinia svecica svecica sind der Avifaunistischen Kommission Sachsen (AKS) zu melden
Sonstige Arten-Attribute
- Brutvogelart des SPA-Fachkonzeptes (im engeren Sinne, Tab. 1+2)
- Triggerart (Vögel) - Brut
- Brutvogelart der SPA-Erhaltungszieleverordnungen
- Vogelart in den SPA-Standarddatenbögen (alt)
- Brutvogelart in den SPA-Standarddatenbögen (neu) - Fortpflanzung
- Vogelart des SPA-Monitorings (Brutvögel)
Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI)
- als Brutvogel: IV.8 (mäßig)
- als Gastvogel: IV.8 (mäßig)
Naturschutzfachlicher Wert-Index (NWI)
- als Gastvogel: 3 (mittel)
- als Brutvogel: 4 (gering)
Populationsökologischer Sensitivitäts-Index (PSI)
- als Gastvogel: 4 (relativ hoch)
- als Brutvogel: 5 (mittel)
Vorkommen
Status Etablierung
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Status Vögel
Brutvogel, Gastvogel
Bemerkung zum Status
Sommervogel, Durchzügler
Nachweisabsicherung
Nein
Langfristiger Bestandstrend
starker Rückgang
Kurzfristiger Bestandstrend
deutliche Zunahme
Bestand
Brutbestand in Sachsen (nach Steffens et al. 2013):
1978-1982: 0 BP (Brutvogelkartierung 1)
1993-1996: 2-4 BP (Brutvogelkartierung 2)
2004-2007: 20-40 BP (Brutvogelkartierung 3)
2016: 100-120 (Expertenschätzung)
Vorkommenskarte
Naturraumkarte
Phänologie
Phänogramm
Erläuterung Phänologie
In Sachsen kommen die ersten Blaukehlchen Ende März/Anfang April an. Der Hauptdurchzug im Frühjahr ist von Ende März bis Ende April (Mai) festzustellen (Höhepunkt Anfang April). Die Brutzeit erstreckt sich von Ende April bis Ende Juli (mit Schwerpunkt Mai/Juni). Es werden wohl meist zwei Bruten durchgeführt. Der Weg- und Durchzug im Herbst vollzieht sich ab August mit Schwerpunkt Ende August/Anfang September und Nachzüglern bis Mitte Oktober (Letztnachweise Anfang November) (Steffens et al. 2013).
Lebensraum
Die Lebensräume des Weißsternigen Blaukehlchens in Sachsen sind strukturreiche Feuchthabitate mit grenzlinienreichen Röhrichten, feuchten Gras- und Staudenfluren, Gebüschen (z. B. Weiden, Sanddorn) und freien Rohboden- oder Schlammflächen. Es findet diese Habitate vor allem in den Ufer- und Verlandungszonen von Bergbaurestgewässern, an ehemaligen Spülkippen, Rückhaltebecken, Fisch- und Klärteichen, Niedermooren sowie aufgelassenen Nasswiesen.
Lebensräume nach Artenschutzrecht
Fortpflanzungsstätten:
Die Fortpflanzungsstätte ist das Brutrevier. Der Raumbedarf zur Brutzeit beträgt nach Flade (1994) 0,24 bis > 2 ha (meist kleiner als 1 ha).
Ruhestätten:
Ruhestätten liegen während der Brutzeit innerhalb des Brutreviers. Jungvögel und adulte Individuen übernachten einzeln in der Strauchschicht (Stiefel 1979).
Habitatkomplexe
- Bergbaubiotope
- Fels-/Gesteins-/Offenbodenbiotope
- Feuchtgrünland, Staudenfluren
- Fließgewässer, Quellen
- Moore
- Stillgewässer inkl. Ufer
- Sümpfe, Niedermoore, Ufer
Habitatkomplexe Reproduktion
- Bergbaubiotope
- Stillgewässer inkl. Ufer
- Sümpfe, Niedermoore, Ufer
Höhenstufen
Sonstiges
Literatur
Bauer, H.-G.; Bezzel, E. & Fiedler, W. (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. Band 2: Passeriformes - Sperlingsvögel, 2. Aufl., Wiebelsheim.
Bernotat, D. & Dierschke, V. (2015): Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen 2. Fassung - Stand 25.11.2015. (Studie als PDF-Datei)
Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S; Sudmann, S. R.; Steffens, R.; Vökler, F. & Witt, K. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten (Hrsg.), Münster.
Glutz von Blotzheim, U. N. & Bauer, K. M. (1988): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. - Bd. 11/I Passeriformes (2. Teil). Wiesbaden.
Hagemeijer, W. J. M. & Blair, M. J. (eds.) (1997): The EBCC Atlas of European Breeding Birds: Their distribution and abundance. London.
Steffens, R.; Nachtigall, W.; Rau, S.; Trapp, H. & Ulbricht, J. (2013): Brutvögel in Sachsen. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden. (als PDF-Dateien unter Brutvögel in Sachsen, Seiten 1-247 sowie S. 248-436 bzw. S. 437-656)
Steffens, R.; Saemann, D. & Grössler, K. (Hrsg.) (1998): Die Vogelwelt Sachsens. Gustav Fischer Verlag, Jena.
Südbeck, P.; Andretzke, H.; Fischer, S.; Gedeon, K.; Schikore, T.; Schröder, K. & Sudfeldt, C. (Hrsg.) (2005): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. Radolfzell.
Südbeck, P.; Bauer, H.-G.; Boschert, M.; Boye, P. & Knief, W. (2007): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 4. Fassung, 30. November 2007. Ber. Vogelschutz 44: 23-81.
Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes
Offizieller Artensteckbrief des LfULG
Stand: 02.02.2022
Erstbearbeitung: 27.09.2016; Bearbeiter: Jörg Huth, Hans-Markus Oelerich (Halle), Dr. Matthias Weber (Heidenau)
Anpassung an die Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen im Dezember 2021 und Januar 2022
Die Artensteckbriefe werden bei Bedarf fortlaufend aktualisiert.
Legende zum Artensteckbrief unter: https://www.natur.sachsen.de/artensteckbriefe-21889.html
Der Artensteckbrief ist Bestandteil der Arbeitshilfen für artenschutzrechtliche Bewertungen: https://www.natur.sachsen.de/arbeitshilfen-artenschutz-20609.html
Informationen zur Artengruppe für Sachsen: https://www.natur.sachsen.de/vogel-21259.html
Hinweise und Änderungsvorschläge zum Artensteckbrief bitte an:
Heiner.Blischke@smekul.sachsen.de