Ischnura pumilio (Charpentier, 1825) / Kleine Pechlibelle

Rechtlicher Schutz und Rote Liste


Artenschutzrechtlicher Schutzstatus:BG (besonders geschützt)
Rote Liste Deutschland:V (zurückgehende Art lt.Vorwarnliste, zurückgehende Pflanzengesellschaften (keine Gefährdungskategorie!))
Rote Liste Sachsen:* (derzeit keine Gefährdung)

Allgemeine Arteninformationen


Kennzeichen

Kleine, aber kräftig gebaute Schlanklibelle mit meist zweifarbigen Flügelmalen. Diese sind in den Vorderflügeln deutlich größer als in den Hinterflügeln und ein gutes Bestimmungsmerkmal. Die überwiegend schwarz gefärbten Männchen besitzen blaue Thoraxseiten und ein blaues „Schlusslicht“ am Hinterleib, welches Segment 9 und den Hinterrand von Segment 8 umfasst. Die oberen Hinterleibsanhänge der Männchen liegen parallel. Im Gegensatz dazu besitzt die sehr ähnliche Große Pechlibelle Ischnura elegans gleichgroße Flügelmale, das blaue „Schlusslicht“ befindet sich fast ausschließlich auf Segment 8 und die oberen Hinterleibsanhänge der Männchen divergieren deutlich. Diese Art ist in beiden Geschlechtern ferner am langen Fortsatz („Haken“) der Vorderbrust zu erkennen, der Ischnura pumilio fehlt. Dieses Merkmal ist häufig auf Fotos gut sichtbar. Weibchen der Kleinen Pechlibelle treten in verschiedenen Farbformen auf und sind am besten an der Form der Vorderbrust und den unterschiedlich großen Flügelmalen zu erkennen. Immature Weibchen sind leuchtend orange mit etwas schwarzer Zeichnung auf den Oberseiten von Kopf, Thorax und Abdomen. Die Bestimmung von Larven und Exuvien ist im Gelände nicht sicher möglich.

Biologie und Ökologie

Ischnura pumilio ist eine Pionierart, die neue Gewässer schon kurz nach der Entstehung besiedeln kann. Die Art ist typisch für sehr junge, noch vegetationsarme und voll besonnte Gewässer, in denen Fische fehlen und die Konkurrenz durch andere Libellenarten noch gering ist. Bei fortschreitender Sukzession verschwindet die Art meist wieder. Neben Pioniergewässern werden teilweise auch stark verwachsene besonnte Kleingewässer besiedelt, in denen andere Libellenarten ebenfalls weitgehend fehlen. Die Primärhabitate bildeten vermutlich die Auen der größeren Flüsse (vgl. Sternberg 1999) incl. der langsam abtrocknenden Überflutungsflächen, möglicherweise aber auch Kleingewässer in ungestörten Moorlandschaften. Aktuell ist die Art überwiegend an Sekundärlebensräume gebunden und besiedelt Kleingewässer in Abgrabungs- und Tagebaugebieten, Regenrückhaltebecken, Baugruben und frisch bespannte Teiche ohne Fischbesatz. Die Larven leben sowohl am Gewässergrund, als auch in der submersen Vegetation, falls diese vorhanden ist.

Die geschlechtsreifen Männchen sitzen in der niedrigen Vegetation, gelegentlich auch am Boden bzw. auf schwimmenden Objekten oder Algenwatten und verhalten sich sowohl gegenüber Artgenossen, als auch anderen Kleinlibellen sehr aggressiv. Paarungen finden besonders in den Nachmittagsstunden und am Abend statt und können mehrere Stunden andauern. Die Weibchen legen die Eier alleine und ohne Bewachung durch das Männchen in Pflanzenteile, sowohl oberhalb des Wasserspiegels als auch völlig untergetaucht. Fehlt die Vegetation noch vollständig, können Weibchen die Eier auch in nasse Bodensubstrate legen. Die Eientwicklung dauert temperaturabhängig 2-4 Wochen. In ausgetrockneten Gewässern schlüpfen die Embryonen erst, wenn die Eier wieder im Wasser liegen. Die Larvalentwicklung ist noch weitgehend unbekannt, vollzieht sich bei hohen Temperaturen aber so rasch, dass die Art in thermisch begünstigten Gewässern meist 2 Jahresgenerationen, im Mittelmeerraum sogar regelmäßig 3 Jahresgenerationen hervorbringt. Die Reifeflugperiode wird von Wildermuth & Martens (2014) mit 6-12 Tagen angegeben. Die Weibchen halten sich, ähnlich wie die noch nicht geschlechtsreifen Individuen, überwiegend in kleinstrukturreichen Offenflächen, wie Ruderalflächen, ungemähten Extensivwiesen, lichten Staudenfluren, Wegrändern etc. auf und kommen nur zur Paarung und Eiablage ans Gewässer.

Bei Fang-Wiederfang-Studien wurde eine sehr geringe Mobilität der Individuen festgestellt (Cham 1993). Im Gegensatz dazu verläuft die Besiedlung neu entstandener Lebensräume aber sehr rasch und oft schon im ersten Jahr nach der Entstehung, so dass das Ausbreitungsvermögen als hoch einzuschätzen ist. Welche Bedeutung Dismigration, Windverdriftung und gezielte Migration einzelner Individuen für die Ausbreitung der Art besitzen, ist unbekannt.

Überregionale Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich von den Azoren und Nordafrika über große Teile Europas bis Zentralasien. Im Norden reicht die Verbreitung von Irland und Mittelengland bis ins südliche Fennoskandinavien.

Erhaltungszustand


Erhaltungszustand

günstig (Gutachterliche Bewertung)

Hinweise Erhaltungszustand

Seit der Erstellung der sächsischen Roten Liste im Jahr 2005 konnte kein Bestandsrückgang der Art beobachtet werden. Aufgrund der teilweise für Libellenkundler eher unattraktiven Lebensräume ist sie offensichtlich in der Erfassung unterrepräsentiert. Neben Bergbau- und Abgrabungsgebieten wurde sie in den letzten Jahren verstärkt an Regenrückhaltebecken gefunden. Aktuell würde die Kleine Pechlibelle bei einer Neubewertung sachsenweit vermutlich weiterhin als ungefährdet eingestuft. Ein guter Erhaltungszustand setzt aufgrund der Kurzlebigkeit der einzelnen Fortpflanzungsgewässer eine intakte Metapopulationsstruktur voraus.

Prüfung und Erfassung


Einstufung nach F+E-Projekt Artenschutzkonzeption 2012

Grundlagenerhebungen / keine Artenhilfsmaßnahmen nötig / möglich

Untersuchungsstandards

Es liegen keine Untersuchungsstandards vor. Das Auftreten einzelner Individuen an Gewässern gibt (noch) keinen Hinweis auf eine erfolgte Reproduktion im Gewässer, eine größere Anzahl unausgefärbter Tiere in Gewässernähe spricht aber für eine wahrscheinliche Reproduktion. Da die Exuvien nur schwer von denen der Großen Pechlibelle zu unterscheiden sind, stellt die Suche nach frisch geschlüpften Individuen die effektivste Methode für einen Fortpflanzungsnachweis dar. Die Schlupfzeit hängt in Temporärgewässern vom Zeitpunkt der Wasserfüllung ab, so dass schlüpfende Tiere grundsätzlich ab Ende April bis in den Herbst beobachtet werden können. Günstige Erfassungsmonate, in denen viele Individuen schlüpfen, sind aber häufig Mai/Juni und August/Anfang September. Vielfach ist es notwendig, Gebiete mehrfach zu unterschiedlichen Jahreszeiten zu begehen, um den Status der Art in einem Gebiet zu ermitteln.

Vorkommen


Status Etablierung

Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)

Nachweisabsicherung

Nein

Langfristiger Bestandstrend

mäßiger Rückgang

Kurzfristiger Bestandstrend

gleichbleibend

Bestand

Bei Betrachtung der dokumentierten Funde von Ischnura pumilio in der Zentralen Artdatenbank zeigt sich das Verbreitungsbild einer in weiten Teilen Sachsens vorkommenden, aber auch seltenen Art. Allerdings ist die Art in den Kartierungen wahrscheinlich deutlich unterrepräsentiert, da die besiedelten Lebensräume teilweise nicht als kartierungswürdige Libellenlebensräume wahrgenommen werden und die Art verhältnismäßig unauffällig und häufig nur bei gezielter Suche nachzuweisen ist. Es gibt vermutlich weit mehr Gewässer mit sehr kleinen Populationen von I. pumilio, als bekannt. Allerdings werden wenige Individuen in größeren Populationen von I. elegans leicht übersehen. Die Funde verteilen sich über ganz Sachsen bis in die mittleren Lagen der Mittelgebirge. Verbreitungsschwerpunkte bestehen zweifellos im Bereich der Tagebaulandschaften sowie in den durch Ton-, Lehm- und Sandgruben geprägten Gefildezonen, auch wenn die vorliegenden Daten dies nur teilweise abbilden.

Regionales Vorkommen

  • Chemnitz/Ob. Erzgebirge: Nachweis ab 1980
  • Oberes Elbtal/Osterzgeb.: Nachweis ab 1980
  • Oberlausitz/Niederschles.: Nachweis ab 1980
  • Westerzgebirge/Vogtland: Nachweis ab 1980
  • Westsachsen: Nachweis ab 1980

Vorkommenskarte

Vorkommenskarte

Naturraumkarte

Naturraumkarte

Phänologie


Phänogramm

Phänogramm

Lebensraum


Fortpflanzungsstätten: Die Art reproduziert sich vorwiegend in jungen, vegetationsarmen Pioniergewässern. Die Mehrzahl der Fortpflanzungsgewässer ist flach und weist nur eine temporäre Wasserführung auf. Teilweise besiedelt Ischnura pumilio auch stark verwachsene Gewässer, Sümpfe und mesotrophe Moorschlenken. Die Reproduktionsgewässer sind stark besonnt und stehen in unmittelbarem Kontakt zu kleinstrukturreichen Offenlandstandorten (Sand-, Schotter- und Ruderalfluren, Extensivwiesen etc.), in denen sich die Weibchen in den Pausen zwischen der Eiablage aufhalten. Derartige terrestrische Lebensräume im Umfeld von mindestens 100 m zum Gewässer sind damit obligate Bestandteile der Fortpflanzungsstätte.

Jagd- und Ruhestätten: Als Reife- und Jagdhabitate werden strukturreiche Offenlandlebensräume im Umfeld der Fortpflanzungsstätten genutzt. Eine Trennung von Fortpflanzungsstätte und Jagdhabitat ist häufig nicht möglich. Die Ruhestätten sind kaum bekannt, vermutlich übernachten die Tiere ebenfalls in der bodennahen Vegetation im Umfeld der Gewässer.

Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: Regionale Abstufung unterhalb der Ebene Landkreis, z. B. Abgrabungsgebiet, naturnaher Auenbereich, aufgrund der Kurzlebigkeit vieler Entwicklungsgewässer muss der Zustand der Metapopulationsstruktur in die Betrachtung einbezogen werden.

Habitatkomplexe

  • Bergbaubiotope
  • Fließgewässer, Quellen
  • Stillgewässer inkl. Ufer
  • Sümpfe, Niedermoore, Ufer

Habitatkomplexe Reproduktion

  • Bergbaubiotope
  • Fließgewässer, Quellen
  • Stillgewässer inkl. Ufer
  • Sümpfe, Niedermoore, Ufer

Ökologische Charakterisierung

  • Gewässer mit besonderer Struktur

Höhenstufen

  • collin
  • montan
  • planar

Management


Beurteilung

Aus der gegenwärtigen Bestandsituation lässt sich kein Bedarf von Schutzkonzepten ableiten, der über den allgemeinen Lebensraumschutz hinausgeht. Dies trifft zumindest so lange zu, wie im Zuge von Rohstoffgewinnung und durch bergbauliche Tätigkeit im Tagebaubetrieb ständig ausreichend Ersatzlebensräume geschaffen werden. Grundsätzlich würde die Art von Maßnahmen der Auenrevitalisierung, insbesondere der Schaffung bzw. dem Erhalt von Nebengerinnen und Überschwemmungsgebieten der Flussläufe profitieren.

Management

Schutz durch allgemeinen Schutz der Lebensräume. Die Kleine Pechlibelle ist in direktem Maße von einer hohen Landschaftsdynamik, insbesondere von einer Vielfalt (immer wieder) neu entstehender Pioniergewässer abhängig. Am leichtesten lassen sich diese Ansprüche langfristig durch das Zulassen von natürlicher Flussdynamik in den Auen erfüllen. Durch Hochwassereinwirkungen kommt es zur Herausbildung sehr dynamischer Kleingewässersysteme, die vermutlich die Primärhabitate der Art in Sachsen darstellen. Viele der typischen Auenarten kommen gegenwärtig in Sachsen nur noch in Sekundärlebensräumen in Bergbaugebieten vor. Hier können ihre Lebensräume durch gezielte Förderung flacher, zumindest teilweise nur temporär wasserführender Kleingewässer aufgewertet werden. Diese sollten nach Möglichkeit auch über die Betriebszeit hinaus erhalten bleiben.

Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida

Gefährdungen


Da Ischnura pumilio als Pionierart neu entstandene Gewässer schnell, aber nur kurzfristig besiedelt, sind keine schwerwiegenden Gefährdungen ersichtlich, so lange entsprechende Gewässer in ausreichender Dichte neu entstehen. Bei einer erheblichen Reduktion der im Zuge der Gewinnung von Sand, Ton, Gestein und Braunkohle entstehenden Pionierlebensräume und dem damit zu erwartenden Zusammenbruch der bedeutsamsten sächsischen Metapopulationen der Art, würde sich der Erhaltungszustand der Art vermutlich erheblich verschlechtern. Dem kann nur durch die Revitalisierung der Auen der größeren Flüsse entgegengewirkt werden.

Sonstiges


Literatur

Allen, K. (2009): The ecology and conservation of threatened damselflies. - Science report: SC040027/SR1. Environment Agency Bristol: 142

S. Cham, S. (1993): Further observations on generation time and maturation of Ischnura pumilio with note on the use of mark-recapture programme. Journal of the British Dragonfly Society, 9 (2): 40-46.

Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Libellen Sachsens. – Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege 2006, hrsg. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 20 S.

Ott, J. & W. Piper (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). – In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 260–263.

Ott, J. (2008): Die Kleine Pechlibelle – Ischnura pumilio (Charpentier, 1925) (Odonata: Coenagrionidae) in der Pfalz: ein Profiteur von Regenrückhaltebecken, Naturschutzgewässern und der Klimaänderung. – Mainzer naturwissenschaftliches Archiv 46: 233-261.

Schorr, M. (1990): Grundlagen zu einem Artenhilfsprogramm Libellen der Bundesrepublik Deutschland. - Societas Internationalis Odonatologica (S.I.O.) Bilthoven.

Sternberg, K. (1999): Ischnura pumilio (Charpentier, 1825) Kleine Pechlibelle. In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs. Band 1. – Eugen Ulmer, Stuttgart: 348–358.

Wolf, J. (2005): Kleine Pechlibelle Ischnura pumilio (Charpentier, 1825) – In: Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.): Die Libellenfauna Sachsens. – Natur & Text, Rangsdorf: 124-128.

Wildermuth, H. & A. Martens (2014): Taschenlexikon der Libellen Europas. Alle Arten von den Azoren bis zum Ural im Porträt. –Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.

Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes

Offizieller Artensteckbrief des LfULG; Stand: 10.12.2015; Bearbeiter: Dr. André Günther und Marko Olias (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Heiner.Blischke@smul.sachsen.de

Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm