Artenschutzrechtlicher Schutzstatus: | SG (streng geschützt) |
Rote Liste Deutschland: | 1 ((akut) vom Aussterben bedroht) |
Rote Liste Sachsen: | 0 (ausgestorben/ausgerottet bzw. verschollen, vernichtet) |
Kleinste europäische Libellenart, sehr zierlich mit auffallend kurzen Flügeln. Der Thorax und das Abdomen sind bei ausgefärbten Individuen oberseits leuchtend metallisch grün, die Thoraxseiten sind bei den Männchen hellblau, bei Weibchen orange, grün oder blau. Die Larven sind ebenfalls sehr klein und haben abgerundete Kiemenblättchen mit einer „aufgesetzt“ wirkenden kleinen Spitze. Aufgrund der Färbung sind Verwechslungen mit den deutlich größeren Arten der Gattung Lestes (Binsenjungfern) möglich. Diese halten beim Sitzen ihre Flügel geöffnet, während sie bei Zwerglibellen zusammengeklappt werden. Ähnlich ist aufgrund ihrer geringen Größe auch die Kleine Pechlibelle (Ischnura pumilio), die jedoch ein zweifarbiges Flügelmal besitzt, während es bei N. speciosa einfarbig hellbraun ist. Ferner fehlt den Weibchen der Zwerglibelle der für die Gattung Ischnura typische, unten am Hinterleibsende an Segment 8 befindliche, nach hinten gerichtete Dorn (Vulvardorn).
Die Art hält sich in allen Entwicklungsstadien in Zwischenmooren, seltener in Hoch- und Niedermooren auf. Die Habitate sind durch dünnhalmige Vegetation, meist aus schmalblättrigen Seggenarten wie Faden-Segge (Carex lasiocarpa), Schlamm-Segge (Carex limosa), seltener auch Schnabel-Segge (Carex rostrata), gekennzeichnet und voll besonnt. Charakteristisch ist ein ausgeglichener, flacher Wasserstand von ca. 10 bis maximal 30 cm mit locker flutenden Torfmoosen (Sphagnum spp.) bzw. Wasserschlaucharten (Utricularia spp.). Typischerweise liegen die Habitate im Bereich von Schwingrasen in der Verlandungszone von Moorseen oder im Bereich von Moorkolken. Aufgrund des hohen Raumwiderstandes der Vegetationsbestände treten in Zwerglibellenhabitaten meist kaum andere Libellenarten auf (Schutz vor Prädation) und es herrscht ein ausgeglichenes Mikroklima. Die Tiere verhalten sich extrem ortstreu, fliegen nur wenig und wechseln in Abhängigkeit vom Wetter zwischen oberen und tieferen Vegetationsschichten. Fliegende Tiere können leicht durch Wind verdriftet werden, möglicherweise einer der wichtigsten Ausbreitungsmechanismen. Das Ausbreitungsvermögen wird ansonsten als sehr gering eingeschätzt. Eine Besiedlung von neu geschaffenen Gewässern wurde über eine Distanz von bis zu 11,5 km beobachtet (Burbach & Schiel 2004). Ferner wurde in mehreren Populationen ein Wiederauftreten nach mehrjähriger Abwesenheit festgestellt, wobei häufig nicht klar war, ob es sich um eine echte Wiederbesiedlung handelte oder ob die Art zwischenzeitlich übersehen wurde. Aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern liegen erste Ergebnisse zur Neuansiedlung der Art nach Habitatgestaltung und künstliche Ansiedlung vor (Mauersberger 2012). Die Larven leben in den Flachwasserbereichen in der Vegetation. Die Entwicklungszeit ist ein-, seltener auch zweijährig.
Die Zwerglibelle kommt in einem schmalen, bandförmigen Verbreitungsgebiet von Europa bis Japan vor. Aufgrund der Lebensraumverluste ist das Areal im Westteil stark fragmentiert und viele Populationen sind bereits erloschen. In Nordosteuropa und Asien ist die Art regional etwas häufiger, aber wohl nirgends wirklich häufig. Nehalennia speciosa ist in Europa und Deutschland eine der am stärksten gefährdeten Libellenarten.
ungünstig-schlecht
Nehalennia speciosa konnte 2012 in einem Moor im Bereich eines Truppenübungsplatzes in der Muskauer Heide nach über 50 Jahren für Sachsen wiedergefunden werden (Walter 2012). Die Population ist offensichtlich sehr klein und räumlich sehr begrenzt. Infolge der Unauffälligkeit der Art bestehen Chancen, dass die Art in weiteren Mooren des sächsischen Tieflandes wiedergefunden werden kann, obwohl alle diesbezüglichen Nachsuchen bislang erfolglos verliefen.
In besonders hohem Maße verantwortlich
Lokal umzusetzende Artenhilfsmaßnahmen, Priorität 1 (höchste)
Es liegen keine Untersuchungsstandards vor. Infolge der Empfindlichkeit ihrer Lebensräume sollte die Erfassung Spezialisten vorbehalten bleiben. Potenzielle Lebensräume in Sachsen befinden sich zudem fast ausnahmslos in Schutzgebieten. Das teilweise empfohlene langsame Abschreiten der Lebensräume sollte aufgrund der Trittempfindlichkeit der Pflanzengesellschaften nur in Ausnahmefällen erfolgen. Nehalennia speciosa gehört zu den wenigen aufgrund der Bundesartenschutzverordnung streng geschützten Libellenarten. Zusätzlich zu den Verboten für die „nur“ besonders geschützten Libellenarten ist auch die erhebliche Störung bzw. die Verschlechterung des Erhaltungszustandes lokaler Populationen verboten. Ausnahmegenehmigungen von den artenschutzrechtlichen Verboten sowie ggf. von den Verboten der Schutzgebietsverordnungen sind daher erforderlich. Die Nachsuche sollte durch intensives Absuchen der Lebensräume mittels eines Fernglases von den Rändern aus erfolgen. Die Tiere halten sich besonders bei windstillem, feucht-warmem Wetter mit leicht verschleiertem Himmel oder leichter Bewölkung in den oberen Lagen der Vegetationsbestände auf und können hier vorzugsweise in den Vormittagsstunden und am späten Nachmittag beobachtet werden. Bei Wind, Regen oder intensiver Sonneneinstrahlung befinden sich die Sitzwarten in tieferen Schichten, so dass die Nachweisbarkeit deutlich sinkt. Die höchste Dichte an Imagines ist im Zeitraum Mitte Juni bis Ende Juli zu erwarten. Besonders zu beachten ist, dass auch in gleichförmig erscheinenden Vegetationsbeständen in der Regel nur Teilbereiche besiedelt sind.
Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)
Ja
sehr starker Rückgang
gleichbleibend
Historisch liegen Nachweise bis in die 1950er Jahre von vermoorten Teichen und Mooren aus der Oberlausitz sowie aus der Düben-Dahlener Heide vor. Die letzten Belege stammen von 1960 aus dem Raum Dauban. Trotz Nachsuche konnte die Zwerglibelle an den historischen Fundorten nicht wieder nachgewiesen werden. Aufgrund der Unauffälligkeit der Art bestehen aber nach wie vor Chancen, dass weitere Populationen überlebt haben. Der einzige aktuelle Nachweis stammt aus einem militärischen Sperrgebiet in der Muskauer Heide.
Auf Grundlage der nur sehr wenigen sächsischen Funde lassen sich keine gesicherten Aussagen zur regionalen Phänologie ableiten. Die langgezogene Schlupfperiode und die teilweise zweijährige Entwicklungszeit bedingen, dass ganzjährig von einem Vorhandensein von Larven in den Gewässern auszugehen ist, wobei im Zeitraum Mitte Juni bis Ende Juli ein Großteil der Population aus Imagines besteht.
Fortpflanzungsstätten: Die Individuen halten sich extrem ortstreu im Bereich der besiedelten Seggenriede auf. Habitatflächen zeichnen sich durch eine sehr geringe Dynamik hinsichtlich struktureller Veränderungen der Vegetation und Wasserstandsschwankungen aus. Damit umfassen die Reproduktionsstätten nicht nur die eigentlichen Habitatflächen, sondern auch die im unmittelbaren hydrologischen Kontakt stehenden Bereiche des Moores bzw. des Moorgewässers. Wasserstandsschwankungen oder mechanische Beeinflussungen umgebender Flächen können zum Erlöschen der Population führen.
Jagd- und Ruhestätten: Jagd- und Ruhestätten sind identisch mit den Fortpflanzungsstätten.
Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: Infolge der sehr geringen Mobilität der Tiere sind besiedelte Habitatflächen als einzelne Populationen abzugrenzen, soweit sie mehr als 100 m durch ungeeignete Habitate getrennt sind.
Aufgrund der akuten Gefährdung der Art in Europa besteht eine hohe Priorität zur gezielten Nachsuche an ehemaligen Fundorten und in potenziellen Vorkommensgebieten, um konkrete Schutzmaßnahmen einleiten zu können. In der Folge von Moorschutzmaßnahmen hat sich die Situation der potenziellen Lebensräume in den letzten Jahrzehnten offensichtlich verbessert, so dass die Wahrscheinlichkeit für Wiederfunde und Neufunde deutlich gestiegen ist. Für die bestehende und alle potenziell zukünftig entdeckten Populationen sind objektkonkrete artspezifische Schutzprogramme erforderlich. Alle neugefundenen Populationen sollten unverzüglich an das LfULG oder/und die zuständige Untere Naturschutzbehörde zur Kenntnis und zur Aufnahme in die Zentrale Artdatenbank gemeldet werden. Meldemöglichkeiten sind auf folgender Internetseite beschrieben: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/19898.htm Die erforderlichen Ausnahmegenehmigungen sollten von der zuständigen Naturschutzbehörde nur nach eingehender Prüfung des Antragstellers sowie nach Rücksprache mit dem LfULG oder dem Verfasser dieses Artensteckbriefs erteilt werden (Ansprechpartner siehe unten).
Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida
Hauptgefährdungen der Art sind die Entwertung der Lebensräume durch:
Brockhaus, T. (2005): Zwerglibelle Nehalennia speciosa (Charpentier, 1840) – In: Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.): Die Libellenfauna Sachsens. – Natur & Text, Rangsdorf: 133-134.
Burbach, K. & Schiel, F.-J. (2004): Beobachtungen zur Ausbreitungsfähigkeit von Nehalennia speciosa (Odonata: Coenagrionidae). Libellula 23: 115-126.
Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Libellen Sachsens. – Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege 2006, hrsg. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 20 S.
Mauersberger, R. (2012): Über Neuansiedlungen von Nehalennia speciosa in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (Odonata: Coenagrionidae). – Libellula Supplement 12: 199-209.
Ott, J. & W. Piper (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). – In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 260–263.
Schorr, M. (1990): Grundlagen zu einem Artenhilfsprogramm Libellen der Bundesrepublik Deutschland. - Societas Internationalis Odonatologica (S.I.O.) Bilthoven.
Schmidt, B. & K. Sternberg (1999): Nehalennia speciosa (Charpentier, 1840) Zwerglibelle. In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs. Band 1. – Eugen Ulmer, Stuttgart: 358–368. Walter, S. (2012):
Wiederfund der Zwerglibelle (Nehalennia speciosa (Charpentier, 1840) in Sachsen (Odonata). – Entomologische Nachrichten und Berichte 56 (3–4): 252.
Wildermuth, H. & A. Martens (2014): Taschenlexikon der Libellen Europas. Alle Arten von den Azoren bis zum Ural im Porträt. –Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.
Offizieller Artensteckbrief des LfULG; Stand: 29.11.2015; Bearbeiter: Dr. André Günther und Marko Olias (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Heiner.Blischke@smul.sachsen.de
Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm